DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2016 - page 72

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RECHT
BGB §§ 126, 133, 157, 550
Konkludente Vereinbarung der Anwendung von Wohnraummietrecht auf einen
Gewerberaummietvertrag
Ein Gewerberaummietvertrag genügt der schriftlichen Form des § 550 Satz 1 BGB auch dann, wenn die Mietvertragsurkunde ausle-
gungsbedürftig ist, sofern der Wille der Vertragsparteien in der Vertragsurkunde zumindest angedeutet ist.
LG Berlin vom 15.10.2015, 67 S 187/15 (Revision zugelassen)
Bedeutung für die Praxis
Die Parteien sind nicht über einen Wohn-, sondern einen Gewerbe-
raummietvertrag miteinander verbunden. Daran ändert die Vertrags-
überschrift „Wohnraum-Mietvertrag” ebenso wenig wie ein etwaig
entgegenstehender Wille der Vertragsparteien; maßgebend ist allein der
Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstel-
lungen der Vertragsparteien darüber, wie das Mietobjekt genutzt werden
soll und welche Art der Nutzung im Vordergrund steht. Die Zwischen-
vermietung oder die sonstige Gebrauchsüberlassung an Dritte stellen
einen gewerblichen Vertragszweck dar. Zwar kann ein unbefristetes
Gewerberaummietverhältnis grundsätzlich in den Fristen des § 580a Abs.
2 BGB ohne Vorliegen eines Kündigungsgrundes gekündigt werden. Die
Vertragsparteien können aber das Recht des Vermieters zur ordentlichen
Kündigung des Gewerberaummietverhältnisses wirksam abbedingen,
indem sie den gesamten Vertrag dem Schutz des sozialen Mietrechts
unterwerfen. Die Geltung der Mieterschutzvorschriften der §§ 573 ff.
BGB für ein Gewerberaummietverhältnis kann ausdrücklich oder durch
schlüssiges Verhalten der Parteien mit der Folge vereinbart werden, dass
der gesetzliche Kündigungsschutz der §§ 573 ff. BGB für den Vertrag
maßgebend sein soll. So liegt der Fall hier: Es haben sich die Vertragspar-
teien zumindest konkludent auf die Geltung des Wohnraummietrechts
und die Abbedingung der sich bei Anwendung des Gewerberaummiet-
rechts ergebenden gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten geeinigt. Das
folgt zunächst aus dem Erklärungswortlaut der Mietvertragsurkunde, die
mit deutlicher grafischer Hervorhebung als „Wohnraum-Mietvertrag”
überschrieben ist. Die Bezeichnung des Mietverhältnisses in der Über-
schrift des verwandten Vertragsformulars ist nicht nur für die Frage des
vorherrschenden Vertragszweckes bei einem Mischmietverhältnis von
Bedeutung, sondern auch für die Ermittlung des Parteiwillens hinsicht-
lich der Anwendung der Vorschriften des Wohnraummietrechts auf ein
bestehendes Gewerberaummietverhältnis. Eine der Klägerin günstige
Auslegung des Erklärungswortlauts wäre vorliegend nur dann in Betracht
zu ziehen gewesen, wenn die Vertragsurkunde im Übrigen unmissver-
ständlich die (Fort-)Geltung der gesetzlichen Regelungen des Gewerbe-
raummietrechts angeordnet hätte. Daran fehlt es jedoch. Zwar stellt die
vereinbarte Anwendung der Vorschriften des Wohnraummietrechts auf
ein Gewerberaummietverhältnis gleichzeitig einen dauerhaften Kündi-
gungsausschluss der gewerberaummietrechtlichen Kündigungsmöglich-
keiten dar, der gemäß § 550 Satz 1 BGB formbedürftig ist. Die für nicht
formbedürftige Rechtsgeschäfte selbstverständliche Berücksichtigung
sämtlicher Auslegungsparameter der §§ 133, 157 BGB findet bei form-
bedürftigen Rechtsgeschäften und damit auch im Anwendungsbereich
des § 550 Satz 1 BGB allerdings eine Einschränkung dahingehend, dass
der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde
einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden haben muss.
Die Grenze bei der Berücksichtigung dieser Umstände ist nach der sog.
Andeutungstheorie erst dort überschritten, wo der beurkundete Text die
Richtung des rechtsgeschäftlichen Willens nicht einmal dem Grunde nach
erkennen lässt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht,
da die Richtung des auslegungsbedürftigen Willens in der Vertrags-
urkunde nicht nur angedeutet ist, sondern sich bereits der Parteiwille
unter Zugrundelegung des Erklärungswortlauts und der vertraglichen
Regelungssystematik aus der Vertragsurkunde selbst ergibt.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
gen. Der Vermieter, der sich dafür entscheidet, die Kaution einzuklagen,
ist gehalten, schlüssig vorzutragen, dass die Kaution zur Sicherung beste-
hender Zahlungsansprüche benötigt wird. Sind diese Ansprüche schlüssig
dargelegt, ist der Klage auf Zahlung der Sicherheit stattzugeben, ohne
dass in diesem Stadium wegen eines Bestreitens des Mieters eine Beweis-
aufnahme über die Forderung, deren Sicherung die Kaution dienen soll,
stattfinden darf.
Auf eine inzwischen eingetretene Verjährung dieses Anspruchs kommt es
nicht an. Denn der Schadensersatzanspruch besteht, er ist lediglich ein-
redebehaftet. Nach § 215 BGB hätte dies, wenn die Beklagten die Kaution
gezahlt hätten, die Aufrechnung der Klägerin gegen den Kautionsrückzah-
lungsanspruch aber nicht ausgeschlossen, da der Schadensersatzanspruch
der Klägerin und der Kautionsrückzahlungsanspruch der Beklagten sich in
unverjährter Zeit gegenübergestanden haben. § 215 BGB findet auch und
gerade Anwendung für den Fall eines verjährten Schadensersatzanspruchs
des Vermieters und die Aufrechnung mit dem Kautionsrückzahlungs-
anspruch der Mieters. Für die Anwendung von § 215 BGB ist lediglich
Voraussetzung, dass es irgendwann einmal einen - wenn vielleicht auch
nur kurzen - Zeitraum gegeben hat, in dem die Aktivforderung (hier: die
Schadensersatzforderung der Klägerin) der Passivforderung (dem Kauti-
onsrückzahlungsanspruch der Beklagten) fällig und durchsetzbar, insbe-
sondere unverjährt und damit aufrechenbar gegenübergestanden hat. Es
ist nicht erforderlich, dass die Aktivforderung in dieser Zeit auch geltend
gemacht und/oder schlüssig begründet wird. Denn § 215 BGB beruht auf
der Überlegung, dass der Schuldner der Passivforderung (hier: der Kläger)
erst dann Veranlassung zur Aufrechnung hat, wenn der Gläubiger der
Passivforderung (hier: die Beklagten) seinerseits mit seinen Ansprüchen
hervortritt. Erst dann muss mit der Aktivforderung aufgerechnet werden.
RA Heiko Ormanschick, Hamburg
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