WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 1/2016 - page 2

BUNDESPOLITIK
Anforderungen an Integrationspolitik
in großen Wohnsiedlungen
Die Kommunen und Wohnungsunterneh-
men haben in den letzten Jahrzehnten
vielfältige Erfahrungen mit der Unterbrin-
gung und Integration von Zuwanderern in
den großen Wohnsiedlungen der 1920er
bis 1980er Jahre gesammelt. Engagiertes
Quartiersmanagement, intensive Betreu-
ung und sensible Belegungspolitik haben
bewirkt, dass der soziale Frieden in den
Nachbarschaften gewahrt blieb und die
Menschen gut und sicher in ihren Quar-
tieren wohnen.
Die Wohnungswirtschaft hat dabei gelernt,
dass die Stabilisierung der Nachbarschaften
in benachteiligten Quartieren eine Dauer-
aufgabe ist. Zum Beispiel hat sich die Inte-
gration der Zuwanderer aus den 1990er
Jahren, unter anderem der deutschen Aus-
siedler aus Russland, als generationenüber-
greifende Herausforderung erwiesen.
Das Zusammenleben in ethnisch stark
gemischten Quartieren muss unterstützt
werden, um Konflikte zu vermeiden. Klein-
teilige Betreuung bis hin zum teilweise
einzelfallbezogenen Engagement war der
Schlüssel zu den bisherigen Erfolgen. Die
enge Kooperation der Wohnungsunter-
nehmen mit Schulen, Kitas, Sport- und Kul-
turvereinen sowie mit sozialen Trägern hat
die Integration befördert.
Dieser Erfahrungshintergrund hat bei den
Wohnungsunternehmen zu der Erkenntnis
geführt, dass die durch die derzeitige Ein-
wanderung absehbaren Integrationsaufga-
ben große Beachtung finden müssen. Die
schiere Zahl der nicht nur unterzubringen-
den, sondern vor allem in unsere Gesell-
schaft zu integrierenden Menschen stellt
eine große Herausforderung dar, zumal sich
der kulturelle Hintergrund der jetzt zu uns
Kommenden deutlich von den kulturellen
Prägungen der vorhandenen, aufnehmen-
den Nachbarschaften unterscheidet.
Die zuwandernden Menschen werden vor
allem dort Betreuung, Arbeit und Unter-
kunft suchen, wo der Migrantenanteil
bereits jetzt am höchsten ist und wo von
Seiten der Zuwanderer wie von Seiten der
vorhandenen Menschen die schwierigsten
Integrationsleistungen erbracht werden
müssen: in den großen Wohnsiedlungen,
an den Arbeitsplätzen der unteren Einkom-
mensgruppen, in den öffentlichen Kitas
und Grundschulen, bei den kommunalen
Wohnungsunternehmen.
Die großen Wohnsiedlungen des 20. Jahr-
hunderts haben sich trotz vieler Probleme,
die nicht klein geredet werden dürfen, als
Orte bewährt, in denen Integration gelingt.
Diese Erfolgsgeschichte muss weitergehen,
um Parallelgesellschaften und stigmati-
sierte Stadtteile, wie in der Pariser Banlieue,
zu vermeiden. In den großen Wohngebie-
ten mit ihren kommunalen Wohnungsbe-
ständen und Flächen haben die Kommu-
nen größere Zugriffsmöglichkeiten als in
anderen Stadtgebieten, und sie werden
verständlicherweise angesichts der Unter-
bringungsnot dazu tendieren, diese zu nut-
zen.
Überforderte Nachbarschaften ver-
hindern
Die bisherigen Erfahrungen der Wohnungs-
unternehmen machen deutlich, dass die
vorhandene Bevölkerung und ihre sozia-
len Netzwerke nicht überfordert werden
dürfen. Für eine gelingende Integration ist
es wichtig, dass die aufnehmende Gesell-
schaft vor allem in jenen Stadtteilen, die
seit Jahren die größten Integrationsleistun-
gen erbringen, die Zuwanderer nicht als
Konkurrenz auf dem Arbeits- und Woh-
nungsmarkt, sondern als neue Nachbarn
und Kollegen erleben kann.
„Viele Nachbarschaften in den großen
Wohnsiedlungen schultern große Integ-
rationsleistungen“, erläuterte Dr.
Bernd
Hunger
, Vorsitzender des Kompetenzzen-
trums Großsiedlungen. „Der Anteil von
Bewohnern mit niedrigen Einkommen ist
höher als im städtischen Durchschnitt. In
benachteiligten Quartieren bezahlen die
Jobcenter nicht selten für die Mehrzahl der
Haushalte die Miete. Es fehlt an bezahlba-
rem Wohnraum in den Metropolregionen.
Einen Kita-Platz zu finden, ist nicht selbst-
verständlich. Auf die Schulen kommt eine
zusätzliche große Aufgabe zu. Altersarmut
wird kennzeichnend für Teile der nächsten
Rentnergeneration vor allem in den großen
Wohnsiedlungen sein.“
Angesichts der großen Zahl der Asylsuchen-
den werden sich selbst bei größtmöglicher
beidseitiger Toleranz in den vorhandenen
Nachbarschaften Konflikte nicht vermei-
den lassen, so Hunger. Soziale Brennpunkte
werden trotz aller Bemühungen, alte Fehler
nicht zu wiederholen, kaum zu vermeiden
sein. „Diese Probleme nicht anzusprechen
hieße, sich nicht oder zu spät darauf ein-
zustellen. Sie müssen öffentlich diskutiert
werden, um gemeinschaftlich perspektiv-
reiche Lösungen zu finden“, so der Vorsit-
zende des Kompetenzzentrums.
Was ist zu tun?
Notwendig ist eine sensible und kleintei-
lige Belegungspolitik gerade in den großen
Wohnsiedlungen, die auf die Belastbar-
keit vorhandener Nachbarschaften Rück-
sicht nimmt. Bewährt haben sich freiwil-
lige Kooperationsvereinbarungen zwischen
Kommunen und Wohnungsunternehmen,
um soziale Spannungen in den Nachbar-
schaften zu vermeiden beziehungsweise
zumindest zu dämpfen.
Die große Aufgabe der Integration von
Flüchtlingen darf nicht dazu führen, den
ganzheitlichen Ansatz des Programms
„Soziale Stadt“ in den Quartieren zu
schmälern.
Erforderlich ist ein finanziell und personell
der Dimension der neuen Herausforde-
rungen entsprechendes Sonderprogramm
„Integration“, um in Korrespondenz zum
Programm Soziale Stadt die Betreuung
der Flüchtlinge in den Nachbarschaften zu
unterstützen. Hier geht es nicht um Mil-
lionen, sondern um Milliarden, nicht um
ein temporäres Programm, sondern um
langfristige Kontinuität. Dieses Programm
muss auch Wohnungsunternehmen offen-
stehen, um zusätzliches Personal für integ-
rative Maßnahmen finanzieren zu können.
Der Spitzenverband der Wohnungswirt-
schaft GdW und das Kompetenzzentrum
Großsiedlungen bringen langjährige Erfah-
rungen in die praktische Gestaltung der
Integration in den großen Wohnsiedlungen
vor Ort ein und stehen als Ansprechpartner
der Politik bereit.
(hung/schi)
Foto: Archiv Kompetenzzentrum Großsiedlungen
Integrationsauf-
gaben müssen
darauf abzielen,
dass die vorhan-
dene Bevölkerung
in Großsiedlun-
gen und ihre so-
zialen Netzwerke
nicht überfordert
werden.
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