05/17 personalmagazin
ein alter Studienfreund, inzwischen Dekan der Evanglischen Kirche,
berichtete mir, dass sie in seiner Heimatstadt neulich einen Vertreter
von Google eingeladen haben, um den Dialog mit der Wirtschaft zu
pflegen. Mein Freund ist liberal und weltoffen, ein intellektueller
Kopf und sehr belesen, gleichwohl irritierte ihn die Visitenkarte des
Gesprächspartners, ja er echauffierte sich sogar: Auf der Visitenkarte
des Firmenvertreters stand als Berufsbezeichunung „Evangelist“.
Der christliche Hinter-
grund des Wortes ist offen-
sichtlich. Das Wort heißt
ursprünglich „Verkünder
der frohen Botschaft“,
wurde zunächst für die
Verfasser der Evangelien
verwendet, später für die
Missionare, die in fremde
Gefilde auszogen. Im 20.
Jahrhundert nannten sich
in den USA evangelikale
Überzeugungstäter wie
Billy Graham, die am rechten Rand angesiedelt waren, Evangelisten.
Die US-Technologiebranche hat den Begriff adaptiert, er gilt als „cooler“
Jobtitel. Bei Linkedin sind über 30.000 „Evangelisten“ verzeichnet, bei
Xing knapp 2.000. Die „Technologie-Evangelisten“ arbeiten wie christ-
liche Missionare: Sie haben eine Idee, die sie verbreiten möchten. Das
machen sie nicht über Machtstrukturen, sondern durch die Kraft der
Begeisterung. Sie sind Überzeugungstäter im besten Sinne des Wortes.
Mit den Missionaren haben sie noch etwas gemeinsam: Sie wollen
Sinn stiften und die Welt besser machen.
Bei aller Begeisterung – denn meist handelt es sich bei „Technologie-
Evangelisten“ ja um sympathische Leute – sie sollten auch von der
dunklen Seite der Geschichte lernen: Wo das Evangelisieren zur
Schwärmerei wird, kann sich die gute Idee in ihr Gegenteil verkehren.
Liebe Leserinnen und Leser,
„Evangelis-
ten bringen
neue Ideen
in die Fir-
men. Die
christliche Tradition dient
als Inspirationsquelle.“
Reiner Straub, Herausgeber
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EDITORIAL