grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
02_2019
Was möchten Sie lieber sein: ein Siegertyp oder
ein Gewinnertyp? Am liebsten beides, oder? Ist da
überhaupt ein Unterschied? Gewinner und Sieger
werden meist synonym verwendet. Doch je nach-
dem, wie wir gewinnen und siegen definieren, lässt
sich ein substanzieller Unterschied erkennen, der in
der Praxis enorme Auswirkungen auf jede Firmen-
kultur hat. Lassen Sie uns ein Gedankenexperiment
wagen:
Ein Sieger lässt sich mit dem Sieg über andere defi-
nieren. Die Grundlage ist der Vergleich mit anderen.
Der Blick geht nach außen. Die Motivation ist extrin-
sisch. Zum Beispiel im Wettkampf: Mensch gegen
Mensch, Mannschaft gegen Mannschaft, Firma
gegen Firma oder Abteilung gegen Abteilung. Eine
Art Duell. Es gibt einen Sieger und einen Verlierer –
einen Besiegten. Am Ende entsteht eine Rangliste
mit Platzierungen. Wie bei einem 400-Meter-Lauf
zum Beispiel. Platzierungen von eins bis acht. Je
nach Anzahl der Laufbahnen. Ein Sieger und sieben
Besiegte.
Ein Gewinner lässt sich mit dem Sieg über sich
selbst definieren. Die Grundlage bildet der Vergleich
mit sich selbst in der Vergangenheit. Der Blick geht
nach innen. Die Motivation ist intrinsisch. Daraus
folgt: Sie können ein Gewinner sein, obwohl Sie in
den Augen anderer besiegt worden sind. Sie können
aus dem Besiegtwerden zwar keinen Sieg machen,
aber dennoch einen Gewinn ziehen. Oder, um es
noch anders zu sagen: Wenn 100 Leute im Wett-
kampf stehen, gibt es am Ende einen Sieger und 99
Besiegte. Doch wenn alle ihre Lehren aus der Erfah-
rung ziehen, gibt es 100 Gewinner.
Wenn wir übermäßig nur Sieg oder Niederlage
sehen, blicken wir zu viel auf die anderen, die „bes-
ser“ oder „schlechter“ sind als wir. Wir definieren
uns über andere. So wird unser Selbstwertgefühl
immer abhängiger davon, wie andere uns sehen.
Wir könnten gegenüber dem Vorjahr ums Zehnfache
über uns hinausgewachsen sein und trotzdem ver-
zweifeln, weil andere, die zur rechten Zeit am rech-
ten Ort waren, jene Stelle bekommen haben, für die
wir uns den Allerwertesten aufgerissen
haben.
„Aber da draußen ist nun mal ein harter
Wettbewerb. Er wird uns aufgezwungen.
Deshalb muss ich nun mal in Siegen und
Verlieren denken,“ höre ich Sie zu Recht argumen-
tieren. Das stimmt natürlich. Deswegen brauchen
wir eine clevere Strategie, um uns nicht im Vergleich
mit anderen aufzureiben. Und die lautet so: „Ich
stelle mich dem Wettbewerb und nutze ihn als Ent-
wicklungshilfe. Ich gebe jeden Tag mein Bestes und
konzentriere mich auf mein Einflussfeld. Ich ver-
renne mich nicht in einem Interessenbereich, den
ich nicht beeinflussen kann. Manchmal siege ich
und manchmal verliere ich. Doch ich gewinne jeden
Tag, weil ich mich immer weiterentwickle!“ So wer-
den wir unterm Strich zu Gewinnern – die Besten,
die wir sein können. Mehr geht nicht!
Ernest Hemingway brachte es einmal so auf den
Punkt: „Es hat nichts Edles, sich seinen Mitmen-
schen überlegen zu fühlen. Wahrhaft edel ist, wer
sich seinem früheren Ich überlegen fühlt“, und wir
verstehen ihn jetzt genau. Welche Freude wäre es,
in einer Kultur zu leben, wo wir alle Gewinner sein
können und uns trotzdem im harten Wettbewerb
durchsetzen lernen. Zu schön, um wahr zu sein?
Ich denke nicht. Es liegt an uns selbst und unserer
Haltung, die wir jeden Tag neu wählen können. Sind
Sie mit dabei?
Paragraf 72
Mehr gewinnen
als siegen!
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Wahrhaft edel ist, wer sich seinem
früheren „Ich“ überlegen fühlt.
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