grundls grundgesetz
Boris Grundl
64
wirtschaft + weiterbildung
07/08_2019
„Unsere Führungskräfte tun sich schwer mit Verän-
derungen, die sind noch nicht so weit.“ Bei diesem
Satz entsteht bei mir der Eindruck, dass von der
Chefetage aus auf die zu Trainierenden von oben
herabgeschaut wird. Das ist alles andere als Augen-
höhe. „Wir sind schon weiter ... und die kapieren es
halt nicht“, so die Botschaft.
Meist sind die Vertreter dieser Botschaft extrem
seminarerfahren und haben ihr Leben der Ent-
wicklung des Menschen verschrieben. Es wird von
„denen“ und „uns“ gesprochen. Denen, das sind die
anderen, die Unwissenden, die zu Schulenden. Uns,
das sind die Geschulten, die Zertifizierten, quasi die
Erleuchteten. Und weil sie so viel wissen, fühlen sie
sich den Unwissenden überlegen. Die Illusion der
gefühlten Überlegenheit schlägt zu.
Sie haben es längst erkannt, ich spreche hier von
den schwächeren Charakteren im HR-Bereich.
Und ja, es gibt auch viele, richtig starke. Doch die
Schwachen sorgen dafür, dass das HR-Image leidet.
Die Anzahl der Führungskräfte, die mit großer Skep-
sis und inneren Widerständen in ein Training gehen,
nimmt zu. „Erfahrung prägt“, lautet die Antwort der
Befragten. Der meistgehasste Satz dieser Schu-
lungsmüden: „Und, was macht das jetzt mit dir?“
Wenn das überhandnimmt, muss die HR-Abteilung
aufpassen, dass sie sich nicht selbst abschafft.
Das wäre schade, sehr schade. Denn ist die Ent-
wicklung des Menschen nicht die schönste Sache
der Welt? Gerade kürzlich wurde ich mal wieder auf
die Begegnung mit „denen“ vorbereitet. Und es wird
mir viel erzählt. Ausführlich. In allen Einzelheiten.
Warum es mit dieser Gruppe von Angestellten so
richtig schwierig ist. Wo ich im Seminar auf Wider-
stände treffen werde.
In der Realität treffe ich auf 150 Ingenieure. Sehr
interessiert. Offen. Kritisch hinterfragend. Nach-
denklich. In Summe sind es richtig tolle Führungs-
kräfte, wache Menschen, die sich pragmatische
Denkansätze für ihr alltägliches Leben wünschen.
Dann mein Auftritt auf der Bühne: Zuerst sind alle
verhalten. Prüfend. So auf die Art: Mal sehen, wen
wir dieses Mal vorgesetzt bekommen. Was der mit
uns machen soll. Dann die Erleichterung. Der will
gar nichts von uns. Der lädt uns zum „Selbstnach-
denken“ ein. Die Aufnahmebereitschaft ist voll da.
Und ich frage mich: „Was läuft hier falsch?“ Was
muss denn passieren, damit Menschen immer
wieder gerne, ja sehr gerne zu uns Tainern kommen
und lernen wollen?
Hier mein Analyseversuch: Die Explosion von
Wissen (Kennen) wächst viel schneller als unsere
emotionale Umsetzungskraft (Können). Wer sich mit
immer mehr Wissen zuschaufelt, leidet sehr darun-
ter, wenn er das Ganze bei sich selbst und anderen
nicht wirklich umsetzen kann. Der Idealis-
mus treibt, die Realität bremst. Der Frust
nimmt zu. Es entsteht ein innerer Druck,
der sich bei den Unwilligen da draußen
entlädt. Und die spüren den mangelnden
Respekt und machen zu.
Wie sieht die Lösung aus? Mal wieder: bei sich
selbst anfangen. In den Spiegel schauen. Was
kenne ich schon? Was kann ich davon? Was will
ich noch besser können? Vorsicht: nur Weniges ist
wirklich gut zu können! Und das Wichtigste: Nicht
denken, weil ich viel weiß, bin ich anderen überle-
gen. In Summe: Wer sich als lernender Lehrer outet,
der lieber lernt als lehrt, von dem lernen Menschen
gern. Sehr gern!
Paragraf 77
Vermeide die
Idealismusfalle
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Wer sich als Lehrer als Lernender
outet, der lieber lernt als lehrt, von
dem lernen Menschen gern.
„
„