grundls grundgesetz
Boris Grundl
64
wirtschaft + weiterbildung
06_2018
Forschungsergebnisse und der gesunde Men-
schenverstand zeigen, wie sehr uns Angst täglich
beherrscht: Angst vor falschen Entscheidungen
bremst notwendige Veränderungen aus. Angst vor
dem Altern macht uns zu Fitness- und Ernährungs-
gurus. Angst vor einem „Image der Schwäche“ lässt
uns bis zum Umfallen arbeiten. Angst vor Statusver-
lust lässt Manager lügen, betrügen oder ausbren-
nen. Angst vor sozialer Ausgrenzung lässt uns Dinge
tun, nur um vor anderen gut dazustehen. Die Liste
ließe sich beliebig fortsetzen.
Besser beschrieben ist Angst das Streben nach
„psychologischer Sicherheit“. Nur, wer sich sicher
fühlt, reflektiert mit dem Gehirn statt von Reflexen
getrieben zu werden. Zwei Beispiele: Ein guter
Bekannter lädt zum Geburtstag und übergeht Sie
dabei. Oder Ihr Kind wird im Sandkasten durch
andere vom Spiel ausgeschlossen. Beides Fälle
von psychologischer Unsicherheit durch soziale
Ausgrenzung. Wie reagieren Sie im ersten Fall? Mit
Angreifen, Ausweichen oder Lähmung? Suchen Sie
Klärung und sprechen mit dem Bekannten über
Ihre Verletzung, wenn Sie ihn treffen? Machen
Sie ihm Vorwürfe? Und wie reagieren Sie auf dem
Spielplatz? Wie ist es bei einer Firmenübernahme?
Nur ein Mitarbeiter, der sich am Arbeitsplatz sicher
fühlt, wird weiter alles geben.
Nur wenige Menschen besitzen die innere Größe,
offen über ihre Ängste zu sprechen. Denn Ängst-
liche gelten als schwach. Deswegen täuschen viele
Stärke vor oder Wissen und tun so, als hätten sie
Lösungen für alles. Doch das ist eine Falle. Heutzu-
tage ist Stärke nicht mehr der entscheidende Ori-
entierungsfaktor. Es ist Stimmigkeit, Authentizität,
die Menschen folgen lässt. Sie gibt suchenden Men-
schen viel mehr Orientierung als „nicht stimmige
Stärke“, die Angst überspielt. Komisch, dass viele
das noch nicht bemerkt haben.
Wer nicht angestrengt nachdenkt und nicht tiefes
Differenzieren lernt, wird leicht von seiner „psycho-
logischen Unsicherheit“ zu Kompensationen genö-
tigt. Weil er einfach nicht erkennt, welches geistige
Muster ihn gerade beherrscht. Dann reagieren wir
häufig nach drei steinzeitlichen Programmen in
unserem Hirn: Angriff, Flucht oder Lähmung (Tot-
stellen). Meist ist uns gar nicht bewusst, wie oft
unsere Denkleistung durch diese Verhaltensweisen
deutlich reduziert wird.
Es existiert aber auch ein anderer Weg. Werde ich
mit etwas Unbekanntem konfrontiert, parke ich es
erst einmal mental. Ich nehme meine Angst wahr
und halte die Unsicherheit aus, weil ich tiefer ver-
stehen will. Ich informiere mich, denke nach, nehme
unterschiedliche Standpunkte ein und genieße
diese geistige Übung. Ich zerlege das Unbekannte
in kleine Scheibchen, um auch sie aus ver-
schiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.
Plötzlich verschwindet die Unsicherheit.
Ich sehe klar und treffe bessere Entschei-
dungen. Ich lerne und wachse.
Vielleicht werde ich anfangs damit von
anderen noch nicht ernst genommen. Denn wer
noch lernt, kann nicht so stark sein. Doch mit
zunehmend besseren Ergebnissen wird sich das
ändern. Garantiert. Erstaunt fragen dann viele:
Woher kommen auf einmal deine große Klarheit,
deine klugen Entscheidungen und dein Erfolg?
Scheinbar über Nacht? Dann wissen nur wir, wel-
chen Preis es gekostet und wie lange es wirklich
gedauert hat.
Paragraf 66
Lass dich nicht von
der Angst treiben!
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Ich nehme meine Angst wahr und
halte die Unsicherheit aus, weil ich
tiefer verstehen will.
„
„