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wirtschaft + weiterbildung
06_2018
Nadine Schmidt
hot from the US
Welche Merkmale, Eigenarten und Umstände las-
sen einen Menschen zu einem genialen Erfinder
werden? Um das herauszufinden, hat Melissa Schil-
ling eine Studie mit acht Erfindern durchgeführt,
die wiederholt Erfindungen mit großer Tragweite im
Bereich Technologie und Wissenschaft hervorge-
bracht haben. Darunter sind prominente Beispiele
wie Marie Curie, Albert Einstein, Steve Jobs und
Elon Musk.
Das Besondere an dem Buch ist die äußerst gelun-
gene Mischung aus biografischen Anekdoten über
die Erfinder und damit verwobenen sozialwissen-
schaftlichen Erkenntnissen. Und auch wenn diese
nicht gänzlich neu sind, so bietet die Lektüre inspi-
rierende Geschichten und unerwartete Erklärungen
für bekannte Phänomene. So sei eine zentrale
Beobachtung, dass Genies oft introvertierte Per-
sönlichkeiten mit einem ausgeprägten Hang zum
Alleinsein sind. Hinzu käme, dass viele erfolgreiche
Erfinder Autodidakten und fachfremd waren, wes-
wegen sie geltende Regeln, Prinzipien und Normen
ihres Gebiets entweder nicht kannten, ihnen eine
Missachtung eben dieser gänzlich egal war oder gar
erstrebenswert erschien. Und erst diese Kombina-
tion – verbunden mit einer gewissen Besessenheit
und ausgeprägtem Starrsinn sowie der glücklichen
Fügung, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein –
mache Geniestreiche einzelner Menschen möglich.
Schilling schlägt auf Basis dieser Beobachtungen
konkrete Maßnahmen vor, wie Organisationen mehr
Raum für Kreativität und Innovationen schaffen
können. So plädiert sie dafür, Mitarbei-
tern „Alleinzeit“ zu ermöglichen, also
Räume zu schaffen, die jeder Einzelne
für sich nutzen darf – ohne Zielvorgaben,
ohne Kontrolle und vor allem ohne Team.
Letzteres ist in einer Gesellschaft, in der
Teams als Allzweckwaffe gelten und ganze Organi-
sationen anfangen, sich teamförmig aufzustellen,
ein durchaus bemerkenswerter Vorschlag. Eine
andere interessante Umsetzung ist der Versuch,
Entscheidungsprozesse so zu gestalten, dass
abweichende Meinungen möglichst lange im Spiel
gehalten werden. So könne es sich anbieten, intern
Teams zu einem Thema konkurrieren zu lassen, um
unterschiedliche Lösungsansätze nicht voreilig zu
unterbinden.
An einem wichtigen Punkt springt die Autorin aller-
dings zu kurz: Einer der zentralen Antreiber von
Genies sei Idealismus. Diese Perspektive verbirgt
allerdings, dass hinter dem positiv konnotierten
Idealismus nicht selten innere Unfreiheit und hoher
seelischer Druck stehen. Wer sich als Coach vor-
schnell von den hehren Zielen seines idealistischen
Klienten beeindrucken lässt, gerät in Gefahr, seinen
Coachee mit einer seelischen Not allein zu lassen.
Professorin auf den Spuren von genialen Innovatoren
Schrulligkeit – das unter-
schätzte Erfinder-Gen
Nadine Schmidt, München, arbeitet als international tätige Beraterin und Executive Coach (Mail:
hat unter anderem an der UC
Berkeley studiert und ist Alumna und Lecturer am CDTM (Center for Digital Technology & Management). Sie begleitet Organisationen und Führungsteams bei der
Gestaltung der Zukunft. In regelmäßiger Abfolge stellt sie an dieser Stelle neue Fachbücher aus den USA vor, deren Lektüre sich für unsere Leser lohnt.
Foto: Kay Blaschke
Melissa A. Schilling:
„Quirky –
The Remarkable Story of the
Traits, Foibles, and Genius of
Breakthrough Innovators Who
Changed the World”, Verlag
Public Affairs, New York 2018,
336 Seiten, 11,99 Euro
Es gilt, Räume zu schaffen, die jeder
Einzelne für sich alleine nutzen darf –
ohne Ziele, Kontrollen, Team.
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