WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 13/2018 - page 3

JUBILÄUM
AUS DEN VERBÄNDEN
wi: In Ihre Amtszeit als GdW-Präsident
fiel das größte historische Ereignis
unserer jüngeren Geschichte, der
Mauerfall in Berlin und die Deutsche
Einheit. Wie bewerten Sie heute, fast
30 Jahre später, die Auswirkung der
friedlichen Revolution für die Woh-
nungswirtschaft?
Jürgen Steinert:
Die, nach der Wieder-
vereinigung dringend erforderliche, Trans-
formation der Wohnungswirtschaft in den
neuen Ländern von einer sozialistischen
Zentralverwaltungswirtschaft der Planung
und Lenkung in eine soziale Marktwirtschaft
war eine Herkulesaufgabe. Sie ist trotz zahl-
reicher Schwierigkeiten durch die Initiative
und Bereitschaft der Bürger in den neuen
Ländern und mit Hilfe der Politik und vieler
Unternehmer sowie Mitarbeiter der Regio-
nalverbände und Wirtschaftsprüfer aus der
alten Bundesrepublik – die Beratung und
fachliche Hilfe im Geiste der Wohnungsge-
meinnützigkeit, also für Gotteslohn geleis-
tet haben – insgesamt erfolgreich gelungen.
wi: Die Wohnungswirtschaft war
bereits kurz vor der Deutschen Einheit
mit großen Veränderungen konfron-
tiert, eingeläutet durch das Ende der
Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr
1989. Welches waren diesbezüglich
die größten Herausforderungen Ihrer
Amtszeit?
Jürgen Steinert:
Die größte Herausforde-
rung bei der Abschaffung des Wohnungs­
gemeinnützigkeitsgesetzeswaren die finanz-
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die
ursprünglich von der Bundesregierung beab-
sichtigten Bewertungen für die steuerliche
Eröffnungsbilanz hätte viele gemeinnützige
Wohnungsunternehmen ruiniert und in den
Konkurs getrieben. Gemeinnütziges Verhal-
ten sollte mit der Abschaffung nachträglich
steuerlich bestraft werden. Diese ruinösen
Absichten konnten durch Informationen
und Aufklärung mit Hilfe zahlreicher Bun-
destagsabgeordneter und Landespolitiker
verhindert werden. Am Ende dieser hefti-
gen und für die Unternehmen existentiellen
Auseinandersetzung gab es faire Rahmen-
bedingungen für den Übergang und die
Zukunft. Das alles wurde möglich, weil die
gemeinnützige Wohnungswirtschaft mit der
Aufhebung des Gesetzes verbandspolitisch
nicht auseinandergebrochen; sondern trotz
der Vielfalt beieinander geblieben ist und
mit einer Stimme für alle die berechtigten
Belange vertreten und durchsetzen konnte.
wi: Die wi feiert in diesem Jahr
ihren 70. Geburtstag. Welche Bedeu-
tung hatte das einzige wöchent-
liche, bundesweite Fachmagazin zur
Wohnungspolitik in ihrer Amtszeit
und wie schätzen sie seine Rolle in
der heutigen „schnelllebigen“ Medi-
enlandschaft ein?
Jürgen Steinert:
Mit meinem Glückwunsch
zum 70. Geburtstag der wi verbinde ich
zugleich meinen Dank an alle Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter
von damals bis heute.
Sie haben unsere woh-
nungspolitischen Inter-
essen, Ziele und politi-
schen Forderungen nach
Innen und Außen erfolg-
reich kommuniziert. Die
wi ist auch in Zukunft
unverzichtbar.
70 Jahre wi – GdW-Präsidenten im Interview
Jürgen Steinert
Senator a.D. GdW-Präsident
von 1986 bis 2001
NACHGEFRAGT
WOHNUNGSPOLITISCHE
INFORMATIONEN
Die Thüringer Wohnungswirtschaft dringt auf Sachlichkeit bei der
Wohnungsdebatte
Erfurt – Der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft (vtw) mahnt eine sachliche Debatte zum Wohnungsmarkt an.
Verbandsdirektor Frank Emrich betont: „Wohnen ist ein zentrales Gut für jeden Menschen. Deshalb muss man mit dem
Thema sensibel und genau umgehen – und vor allem faktenbasiert.“ Natürlich steige die Wohnungsnachfrage in den
großen Städten. Jedoch bieten die Wohnungsunternehmen Wohnungen in jedem Preissegment an. Nach wie vor finde
jeder Wohnungssuchende in Thüringen eine Wohnung zum angemessenen Preis – nur nicht sofort in jeder Lage. Zudem
werde flächendeckend und zielgruppenorientiert gebaut.
„Statt die Menschen zu verunsichern, brau-
chen wir mehr aktuelle Fakten für Gesamt­
thüringen. Wir benötigen ein aktuelles
Monitoring der Bevölkerungsentwicklung,
der Wanderungsbewegungen und der Woh-
nungsmarktdaten. Das ist eine Aufgabe des
Landes und der Kommunen. So lange wir
hier keine übergreifenden Daten haben,
öffnen wir Spekulationen und Populismus
den Raum“, erklärte Frank Emrich. Die Woh-
nungswirtschaft muss immer wieder auf
externe Entwicklungen reagieren, die lang-
fristig nicht voraussehbar sind. Niemand hat
mit der starken Zuwanderung in die Städte
gerechnet, niemand mit Minimalzinsen und
riesigen Kapitalmengen, die die Immobi-
lien-, Grundstücks- und Baupreise hochtrei-
ben. Damit wird die wirtschaftliche Investi-
tion in Wohnimmobilien immer schwieriger.
„Wir freuen uns sehr, dass die seit Herbst
angekündigte Evaluierung der Förderricht-
linie für den Wohnungsbau im März wahr-
scheinlich erfolgen wird. Die Verbesserung
der Förderrichtlinien wird unsere Unterneh-
men dann hoffentlich in die Lage versetzen,
sie stärker als bisher zu nutzten.“, so Frank
Emrich. Mit Unverständnis beobachtet der
vtw zudem wachsende Begehrlichkeiten,
das Wohnungsbauvermögen anzutasten:
„Wohnungsbau wird über lange Zeiträume
geplant. Wenn hier in ein, zwei Jahren Mittel
nicht abfließen, werden sie dennoch in den
nächsten Jahren benötigt.“ Zudem lautet die
Position der Wohnungswirtschaft ganz klar:
Die Probleme auf den Wohnungsmärkten
können nicht allein in den Städten gelöst
werden. Die Aufmerksamkeit muss daher
stärker auf die Regionen mit schrumpfen-
den Bevölkerungszahlen gerichtet wer-
den. Der vtw begrüßt daher die angekün-
digte „Zukunftsstrategie Ländlicher Raum“
der Landesregierung. Frank Emrich betont:
„Wir brauchen hier einen großen Wurf. Alle
Akteure müssen mit ins Boot und es muss
schnell gehandelt werden. Wir stehen bereit
und wir werden auch Verantwortung über-
nehmen.“ Die Entwicklung des ländlichen
Raumes wird nicht allein mit Infrastruktur,
Breitband und Förderung erreicht werden
können. Auch dazu sind stabile Fakten uner-
lässlich.
(end/koch)
Foto: Tina Merkau
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