WOHNUNGSPOLITISCHE INFORMATIONEN 17/2017 - page 3

BUNDESPOLITIK
Wie baut man neue Wohnsiedlungen? – Studie zeigt Leitlinien auf
Berlin – Was sollte beim Bau neuer Stadtteile beachtet werden? Eine Studie des Kompetenzzentrums Großsiedlungen hat
städtebauliche Prinzipien für den Bau neuer Wohnsiedlungen aus dem Erfahrungsschatz des Siedlungsbaus des 20. Jahr-
hunderts abgeleitet.
Die städtebaulichen Prinzipien werden in
der Studie wie folgt beschrieben:
Verträgliche Einbindung in die Stadt
und die Landschaft
Neue Quartiere müssen auf Basis integrier-
ter Stadtentwicklungskonzepte mit klar
definiertem Bezug zum Umfeld entwickelt
werden.
Wohnen im Grünen – hohe Freiraum-
qualität
Ruhiges und sicheres Wohnen im Grünen
ist ein zentrales Bedürfnis, das sich seit Jahr-
zehnten unverändert durch die Umfragen
zu Wohnwünschen zieht. Bewährt hat sich
ein Wohnumfeld mit subtil abgestuften pri-
vaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen
Aufenthaltsqualitäten.
Urbanes Wohnen – gute soziale Infra-
struktur
Menschen möchten am liebsten ruhig im
Grünen und gleichzeitig gut versorgt und
urban leben. Daher rührt die starke Nach-
frage nach Wohnungen in zentrumsnahen
durchgrünten Wohnsiedlungen. Je peri-
pherer ein Wohngebiet, umso notwendiger
ist seine Ergänzung durch eine lebendige
soziale Infrastruktur.
Maßvolle Dichte – Maßvolle Mischung
Das in den 1960er Jahren als Kontrapunkt
zum bis dahin gültigen Leitbild der aufgelo-
ckerten Stadtlandschaft propagierte städte-
bauliche Leitbild "Urbanität durch Dichte"
hat sich als problematisch erwiesen. Dichte
allein erzeugt mitnichten Urbanität, son-
dern nachbarschaftliche Probleme. Neue
Wohnsiedlungen und Stadtteile können
und sollen nicht die Dichte und Mischung
innerstädtischer Gründerzeitgebiete errei-
chen. Gleichwohl sind lebendige gemischte
Quartiere mit vielfältigen Wohn- und Nut-
zungsformen anzustreben, wobei die zen-
trumsnahen Erdgeschosszonen von beson-
derer Bedeutung sind.
Hohe Gestaltqualität – Quartiere „mit
eigenen Gesichtern“
Große Wohnungsbauvorhaben haben das
Problem der Masse. Im Interesse über-
schaubarer Nachbarschaften lohnt es des-
halb, beim Bauen über Gestaltungsregeln
für Quartiere „mit eigenen Gesichtern“ mit
nicht mehr als circa 500 Wohnungen nach-
zudenken, die den jeweiligen neuen Stadt-
teil nachbarschaftsfreundlich und gestalte-
risch ansprechend strukturieren.
Vielfältige Mobilität
Je peripherer ein Wohngebiet, umso ent-
scheidender wird seine Attraktivität von der
verkehrlichen Anbindung an das Zentrum
und die anderen Stadtteile abhängen. Alle
Formen des Verkehrsverbundes – zu Fuß,
per Rad, mit „den Öffentlichen“ und per
Auto – müssen zusammenspielen, um ein
Mobilitätsverhalten zu fördern, das neue
Angebote des Carsharing oder der E-Mobi-
lität einschließt.
Der Städtebau ist aber nicht alles. Zentrale
Bedeutung haben die für die Nutzung und
Bewirtschaftung der neuen Quartiere woh-
nungspolitische Leitplanken. Die wesent-
lichsten wohnungspolitischen Prinzipien
werden in der Studie wie folgt beschrieben:
Wohnungsbau für breite Schichten
In jedem der untersuchten größeren Neu-
bauquartiere wird das Leitbild verfolgt, für
alle sozialen Gruppen zu bauen. Der Logik
dieses Leitbildes entspricht, dass Wohnen
sowohl zur Miete als auch im Eigentum
konzipiert wird. Über verschiedene Förder-
wege sollen Zielgruppen mit unterschiedli-
cher Kaufkraft angesprochen werden.
Bezahlbares Wohnen in sozialer
Mischung
Unterschiedliche Modelle werden verfolgt,
um eine möglichst nahräumliche soziale
Mischung zu erreichen. In der Regel wer-
den Quoten für mietpreis- und belegungs-
gebundenen Wohnraum vorgegeben.
Bauherrenvielfalt
Ein breites Wohnungsangebot wird geför-
dert durch die Kooperation mit möglichst
vielfältigen Bauherren, die nahräumlich
zueinander unterschiedliche Wohnmilieus
errichten. Dazu gehören kommunale und
private Wohnungsunternehmen ebenso
wie Baugruppen und Genossenschaften.
(hung/schi)
Weitere Infos zur Bestellung der Studie
finden Sie unter diesem Kurz-Link:
München: Der Rückgriff auf das städtebauliche
Prinzip der aufgelockerten Stadtlandschaft
wurde verbunden mit verträglicher Dichte und
wohnungsnahen Dienstleistungen entlang der
verkehrsfreien „Grünen Diagonale“.
Foto: Landeshauptstadt München, Referat
für Stadtplanung und Bauordnung
wi: Was ist das Fazit der neuen Stu-
die?
Hunger:
Der Bau neuer Stadtteile und
Wohnsiedlungen erfolgt heute in vergli-
chen zu früheren Jahrzehnten größerer
Vielfalt. Das betrifft die Größe, die Funk-
tionsmischung oder die bauliche Dichte
ebenso wie das Wohnungsangebot. Die
Palette reicht vom Design großer neuer
Stadtteile auf grüner Wiese über großflä-
chige Vorhaben der Innenentwicklung bis
zur behutsamen Nachverdichtung und
Erweiterung vorhandener Siedlungen.
Welchen Einfluss hat die Woh-
nungswirtschaft?
Hunger:
Wohnungsunternehmen soll-
ten darauf achten, dass sie als wichtigste
Bauherren so früh wie möglich in die Pla-
nung neuer Wohnsiedlungen einbezo-
gen werden und dass die wirtschaftliche
Tragbarkeit von Anfang an angemessen
berücksichtigt wird.
Was ist beim Bau neuer Siedlungen
am schwierigsten?
Hunger:
Es wird immer schwieriger, die
Zustimmung der Nachbarschaften und
der Stadtöffentlichkeit zu erreichen. Das
gelingt am besten, wenn das neue Bau-
vorhaben als Wertgewinn erlebt wird:
bessere wohnungsnahe Dienstleistun-
gen, bessere verkehrliche Anbindung,
neue Wohnangebote et cetera. Die
Beteiligungsverfahren dürfen sich nicht
nur auf die Nachbarschaften beschrän-
ken. Es muss gelingen, gesamtstädtische
Interessen einzubinden.
Foto: Jens Rötzsch
Dr. Bernd Hunger
GdW-Stadtentwicklungs­
referent & Vorsitzender des
Kompetenzzentrums Groß-
siedlungen
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