BUNDESPOLITIK
Flüchtlingsunterbringung, angespannte
Mietwohnungsmärkte, steigende Bau-
kosten und demografischer Wandel. Das
Jahr 2015 hält große und wichtige The-
men bereit. Die bau- und wohnungspo-
litische Sprecherin der LINKE-Bundestags-
fraktion hat der wi-Redaktion dazu drei
Fragen beantwortet.
wi: Der enorme Zustrom von
Flüchtlingen und Zuwanderern
nach Deutschland, insbesondere in
die ohnehin von Wohnungsman-
gel betroffenen Ballungsregionen,
reißt nicht ab. Was muss getan wer-
den, um die Notsituation gerade in
angespannten Wohnungsmärkten
schnell abzumildern?
Bluhm:
Dieser Zustrom war vorher
sehbar und wird sich auch nicht wie
der umkehren. Trotzdem überwiegen
bei manchen Politikern offenbar immer
noch Abwehrhaltung und der Reflex zu
kurzfristigen Provisorien. Das verhindert
nicht nur planvolle Bau- und Integrati
onsmaßnahmen sondern, unterstützt,
wenn auch ungewollt, eine ableh
nende, fremdenfeindliche Grundstim
mung in Teilen der Bevölkerung. Not
wendig wären aber – und zwar parallel:
Aufstockung und Beschleunigung der
Erstaufnahme und der Asylentscheide,
Abkehr vom Königsteiner Schlüssel.
Zweckgebundene Erhöhung der Bun
desmittel für den Sozialen Wohnungs
bau auf eine Milliarde Euro jährlich,
Aufstockung und Ergänzung des Pro
gramms Soziale Stadt um ein spezielles
Integrationsprogramm sowie die Strei
chung der Altschulden ostdeutscher
Wohnungsunternehmen mit der Maß
gabe, leer stehenden Wohnraum für
die Flüchtlingsunterbringung zu ertüch
tigen. Auch ein Abrissmoratorium in
den Stadtumbauprogrammen Ost und
West und stattdessen Herrichtung und
Ertüchtigung der leer stehenden Woh
nungsbestände wären hilfreich.
Immer weiter steigende Grund-
stückspreise, Baukosten, staatliche
Auflagen, Steuern und Abgaben
führen dazu, dass Neubau fast aus-
schließlich im hochpreisigen Seg-
ment stattfindet. Was ist zu tun,
damit Bauen und Wohnen wieder
bezahlbar wird?
Bluhm:
Lösungsansätze, alternativ zum
hochpreisigen Bauen, könnten sein:
Vorrangige Konzeptvergabe bei Grund
stücksverkäufen aus der öffentlichen
Hand anstelle von Höchstpreisvermark
tung, Stärkung des Vorkaufsrechts der
Kommunen durch bessere Finanzaus
stattung für Projekte des sozialen Woh
nungsbaus, Verhinderung von Kar
tellbildungen in der Baustoffindustrie,
teilweise oder völlige Befreiung dauer
haft zweckgebundener, sozialer Wohn
projekte von Steuern und Abgaben. Die
Fördermittel im sozialen Wohnungsbau
müssen als verlorene Zuschüsse gewährt
werden, denn Zinsen und Tilgung haben
steigende Mieten zur Folge.
Der deutsche Wohnungsmarkt
befindet sich zunehmend in einem
Spannungsfeld von Wachstums
regionen mit Wohnungsknappheit
und Schrumpfungsgebieten mit
Leerstand. Welche wohnungspoliti-
schen Maßnahmen sind notwendig,
um diesen gegenteiligen Situatio-
nen gerecht zu werden und in ganz
Deutschland Wohnen mit Zukunft
bieten zu können?
Bluhm:
Es gibt in Deutschland schon
lange keine Wohnungspolitik mehr, son
dern bestenfalls eine Wohnungsmarkt
politik, die permanent den Erfordernissen
der soziodemografischen, klimatischen
und ökonomischen Entwicklung hinter
herhechelt. Sie erschöpft sich in wechsel
haftem Reagieren mit temporären Markt
anreizinstrumenten, die nie vollständig
zu den vorgegebenen Zielen führen. Sie
hat weder einen eigenen Gestaltungs
anspruch noch einen angemessenen
Handlungsrahmen. Der Markt allein ist
jedoch mit der Bewältigung der komple
xen Problemlage „eklatant überfordert“.
Notwendig ist ein eigenständiges, finan
ziell ausreichend ausgestattetes Ressort
„Wohnen, Stadt und Regionalentwick
lung“ das nicht als Wurmfortsatz mal
dem einen oder anderen Ministerium
beigeordnet ist und das die spezifischen
regionalen Entwicklungserfordernisse
zwischen Bund, Ländern und Kommu
nen koordiniert.
Foto: Heidrun Bluhm
Heidrun Bluhm
Bau- und wohnungs
politische Sprecherin
der Bundestagsfraktion
DIE LINKE
DREI FRAGEN AN…
„Nach dem Ankommen das Bleiben organisieren“ – Norddeutsche Wohnungs-
wirtschaft unterstützt verstärkt bei der Flüchtlingsunterbringung
Hamburg – Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) und seine über 300 Mitgliedsunternehmen
unterstützen bei der Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-
Holstein. Aktuell stellen sie bereits hunderte Wohnungen in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg-Vorpommern sogar
fast 1.000 Wohnungen für geflüchtete Menschen zur Verfügung. Teilweise sind die Verbandsunternehmen in Schleswig-Holstein auch an der Errichtung von Gemeinschaftsunterkünften beteiligt. In Hamburg liegt die Leerstandsquote der
Verbandsunternehmen bei nur 0,8 Prozent. Daher ist dort die Bereitstellung von Wohnungen schwieriger. Doch auch
hier haben die VNW-Mitgliedsunternehmen bereits Flüchtlinge im Wohnungsbestand untergebracht.
AUS DEN VERBÄNDEN
Die geordnete Aufnahme, schnelle Unter
bringung und dauerhafte Betreuung der
geflüchteten Menschen ist eine gesamtge
sellschaftliche Aufgabe. Aufgabe der Woh
nungswirtschaft ist der Wohnungsbau.
Die notwendige Betreuung und Beglei
tung Asylsuchender liegt in kommunaler
Zuständigkeit.
Bereits seit Jahren weist der VNW auf regi
onal notwendigen Wohnungsneubau hin
– nicht zuletzt in Form bezahlbarer Mehr
familienhäuser. Der Bedarf war schon da,
als bundesweit weniger als 100.000 Asyl
anträge jährlich gestellt wurden und die
Baufertigstellungszahlen über den heuti
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„Regeln und zu
viel Bürokratie ver-
hindern dringend
gebrauchte schnelle
Lösungen“, sagte
VNW-Verbands-
direktor Andreas
Breitner.
Foto: VNW
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