Personalmagazin 7-2018 - page 22

Der Untertitel Ihres Buchs lautet „Die Kunst, sich selbst und
andere zu führen“. Wie wichtig ist es, sich selbst zu führen,
um andere führen zu können?
Anselm Grün: Sich selbst zu führen, heißt zunächst, sich selbst
anzunehmen und zu kennen. Wenn ich mich selber nicht füh-
ren kann, projiziere ich all das, was ich bei mir nicht wahr- und
angenommen habe, auf meine Mitarbeiter. Dann sehe ich die
Mitarbeiter nicht so, wie sie sind, sondern als Erfüllung meiner
verdrängten eigenen Schattenseiten. Deshalb ist Selbsterkennt-
nis grundlegend. Ich muss mich selbst annehmen, um auch die
Mitarbeiter annehmen zu können.
Herr Janssen, das haben Sie in Ihrer Funktion als Unterneh-
mer ganz ähnlich erlebt. Wann stellten Sie fest: So geht es
mit der Mitarbeiterführung nicht mehr weiter?
Bodo Janssen: Darauf bin ich mit der Nase gestoßen worden
durch die Rückmeldung der Mitarbeiter, die gesagt haben, dass
sie sich nicht geführt fühlen. Es war an ganz unterschiedlichen
Verhaltensweisen festzumachen, dass ich die Menschen nicht
gefragt habe und sie mit einbezogen habe, dass ich über ihre
Köpfe hinweg entschieden habe, dass ich sie nicht anerkannt
und sie nicht angesehen habe. Sie waren letztendlich für mich
Instrumente, die ich benutzt habe, um etwas zu tun. Offensicht-
lich war das, was ich getan habe, nicht das, was sie unter Führung
verstanden haben.
Sie sprechen damit auf zwei Mitarbeiterbefragungen an, die
Sie durchgeführt hatten. Die erste brachte schlechte Ergeb-
nisse. Die haben Sie gleich in der Schublade verschwinden
lassen. Auch die zweite hatte schlechte Ergebnisse. Warum
haben Sie dann reagiert?
Janssen: Es gab keinen anderen Ausweg für mich. Ich hatte
meinen Vater verloren und die Verantwortung für das Unter-
nehmen übernommen. Flucht war nicht möglich. Ich musste
mich der Situation stellen. Mit diesem Bewusstsein und mit der
Frage „Was ist überhaupt Führung?“ bin ich damals ins Kloster
gegangen. 2010 besuchte ich bei Pater Anselm den Kurs „Spi-
rituell führen“, um dort Antworten zu finden. Ich hatte schon
das Verständnis: Führung bezieht sich auf Menschen und Ma-
nagement bezieht sich auf Zahlen, Daten, Fakten. Aber wie das
Führen geht, wusste ich nicht.
Wann kamder Zeitpunkt, als Sie gemerkt haben: Jetzt ist die
Wende geschafft, jetzt habe ich dieses Verständnis?
Janssen: Damals im Koster habe ich vier Grundsätze für mich
kennengelernt. Der erste war der Satz, über den wir schon ge-
sprochen haben: „Nur wer sich selbst führen kann, kann andere
führen.“ Darüber hinaus gab es zwei andere, sehr wichtige Sätze:
„Wer fragt, führt.“ Und: „Die Reflexion ist produktiver als die
Aktion.“ Ich war damals 80 bis 90 Stunden in der Woche damit
beschäftigt, den Menschen Antworten zu geben, für das, was sie
tun sollen. Im Kloster ging es dann darum, nicht zu viel zu tun,
ruhig zu sein und Fragen zu stellen, um die Menschen dadurch
wertzuschätzen. Das war ein ganz anderes Denken. Das gleiche
galt auch für mich: Sich selbst zu führen heißt nicht Rennen,
sondern Reflexion. Es geht darum, in sich hineinzuhorchen und
sich kluge Fragen zu stellen.
Pater Anselm, wie häufig kommt es vor, dass Manager ins
Kloster kommen und bei Ihnen Hilfe suchen?
Grün: Ich gebe rund zehn Kurse pro Jahr, an denen jeweils
30 bis 40 Personen teilnehmen. Es besteht offensichtlich ein
großes Bedürfnis danach, nicht nur effektiv zu führen, um Geld
zu verdienen. Sondern die Teilnehmer spüren, dass Führen
mit der Beziehung zu Menschen zu tun hat. Ein Kurs trägt den
Titel „Menschen führen heißt Leben wecken“. In vielen Firmen
regieren die Kennzahlen und die Menschen werden dem un-
tergeordnet. Das ist gegen die Würde der Menschen. Wenn ich
dagegen Leben wecke, tut das den Menschen gut und das dient
auch der Firma.
Oftmals verblassen solche Botschaften schnell, wenn die
Kursteilnehmer in die Unternehmen zurückkehren und doch
wieder nach den alten Mustern arbeiten. Wie stellen Sie
sicher, dass sich nachhaltig etwas ändert?
Grün: Dafür braucht es einfach Geduld. Wenn jemand etwas
verstanden hat, versucht er auch, sich anders zu verhalten. Allein
die andere Ausstrahlung bewirkt viel. Natürlich braucht es einen
konkreten Weg der Umsetzung, aber es geht nicht darum, sofort
alles zu ändern, sondern ich muss zunächst ein anderes Klima
„Ich bin eine gute
Führungskraft,
wenn die
Menschen
aufrechter
nachhause gehen.
Der Glaube ist
nicht unbedingt
die Voraussetzung
dafür, aber die
Offenheit.“
Anselm Grün
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