Personalmagazin 11/2016 - page 21

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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
dung zum Entwurf lässt sich ferner ent-
nehmen, dass bei der Prüfung die für die
Tätigkeit notwendigen Qualifikationen
und Fertigkeiten, die Verantwortung so-
wie die physische und psychische Bela-
stung zu berücksichtigen seien. Trotz der
genannten Kriterien wird die Beurteilung
im Einzelfall schwierig sein.
Unmittelbare Rechtsfolge eines Ver-
stoßes gegen das Entgeltgleichheitsgebot
ist ein Erfüllungsanspruch des benachtei-
ligten Beschäftigten. Danach hat der Be-
schäftigte gegen den Arbeitgeber einen
Anspruch auf Zahlung des Entgelts, das
zu zahlen gewesen wäre, wenn keine Be-
nachteiligung aufgrund des Geschlechts
vorgelegen hätte. Auf ein Verschulden
des Arbeitgebers kommt es nicht an.
Die Geltendmachung des höheren Ent-
gelts kann im Rahmen der regulären
dreijährigen Verjährungsfrist erfolgen.
Nach dem Gesetzentwurf sollen kollek-
tiv oder individualvertraglich geregelte
Ausschlussfristen nicht zur Anwendung
kommen. Damit entstehen für Arbeitge-
ber unter Umständen erhebliche finanzi-
elle Risiken aus der Vergangenheit.
Individueller Auskunftsanspruch
Zur Durchsetzung des Gebots der Ent-
geltgleichheit ist in § 10 EEntgGleiG ein
individueller Auskunftsanspruch für
Beschäftigte vorgesehen. Danach kön-
nen sie zur Überprüfung der Einhaltung
des Entgeltgleichheitsgebots von ihrem
Arbeitgeber Auskunft verlangen über:
die Kriterien für die Festlegung des ei-
genen Entgelts,
die Kriterien und Verfahren für die
Festlegung des Entgelts einer gleichen
Tätigkeit und deren Entgeltgruppe
oder einer gleichwertigen Tätigkeit,
die überwiegend von Beschäftigten
des jeweils anderen Geschlechts aus-
geübt wird (mindestens 60 Prozent),
und deren Entgeltgruppe,
den statistischen Median des monatli-
chen Entgelts einer Gruppe von mindes-
tens fünf Beschäftigten des jeweils an-
deren Geschlechts, die die gleiche oder
eine gleichwertige Tätigkeit ausüben.
Die Debatte um Diskriminierung und
Ausgrenzung, Integration und Chancen-
gleichheit auf dem Arbeitsmarkt muss wei-
tergehen und legitim sind flankierende Re-
gelungen. Doch jedes Gesetz muss geeignet
und erforderlich sein, das gesetzgeberische
Ziel zu erreichen. Man schafft Auskunfts-
und Darlegungspflichten, die vielleicht nicht
zu einem Mehr an Lohngerechtigkeit führen
werden, sicherlich aber zu einem Mehr
an Bürokratie. Man will gleichen Lohn für
gleichwertige Arbeit durchsetzen, ohne so
recht zu wissen, wie diese zu bestimmen
ist. Dabei sind andere Dinge wichtiger:
Jeder Betriebskindergarten hilft mehr zur
Chancengleichheit von Frauen und Männern
im Berufsleben als solch ein Gesetz, jede
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf hat einen größeren Effekt auf die
„Wage Gap“. Eine intensive Diskussion ist zu
wünschen – für Gesetze, die wirklich helfen.
Die Sache ist der Mühe wert, daher die
dringende Bitte: nicht einfach durchwinken!
PROF. DR.
GREGOR THÜSING
ist Direktor des Insti-
tuts für Arbeitsrecht
und Recht der Sozia-
len Sicherheit an der
Universität Bonn.
schiedlichen Regionen können aber nur ein
Grund zur Rechtfertigung der Ungleichbe-
handlung sein, schließen aber gleiche und
gleichwertige Tätigkeit nicht aus.
Selbst wenn all das korrigiert werden
würde, bliebe immer noch die Frage, ob die
neuen Regelungen das Ziel, „das Gebot des
gleichen Entgelts für Frauen und Männer
bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu
fördern und durchzusetzen“ (§ 1 des Ent-
wurfs), erfüllen können. Ich bezweifle das.
Gänzlich unverhältnismäßig etwa ist die Re-
gelung, wonach eine Vereinbarung nichtig
sein soll, wenn sie Beschäftigten verbietet,
Auskunft über das eigene Entgelt zu geben.
Das britische Recht kennt eine ähnliche
Regelung, beschränkt sie jedoch auf den
Fall, in dem diese Auskunft der Durchset-
zung des Anspruchs auf Entgeltgleichheit
dient. Das britische Recht kennt auch keine
Regelung, wonach der Arbeitgeber bei
Ausschreibungen künftig stets das Mindest­
entgelt für die ausgeschriebene Position
anzugeben hat: Nicht der Bewerber muss
seine Gehaltswünsche nennen, sondern
der Arbeitgeber sein Entgelt, das er zahlt –
auch wenn der Arbeitnehmer vielleicht für
weniger zu arbeiten bereit wäre.
Warum schaut sich der deutsche Gesetz-
geber nicht im Ausland um? Bei einer
rechtsvergleichenden Bestandsaufnahme
würde das Ministerium vielleicht nochmals
nachdenken – zum Beispiel über § 10 f.
des Entwurfs, wonach der/die Beschäftig-
te einen Anspruch auf Auskunft über den
Lohn seines oder ihres Kollegen haben
soll, unabhängig davon, ob es überhaupt
Anzeichen für eine Diskriminierung gibt. In
Großbritannien gibt es einen solchen An-
spruch nicht – auch nicht in den USA, dem
Mutterland des Diskriminierungsrechts, und
auch nicht in der Schweiz, wo in Artikel 8
der Bundesverfassung die Entgeltgleichheit
für gleichwertige Arbeit sogar verfassungs-
rechtliche Weihen erhält.
Weitreichender ist die Verpflichtung eines
jeden Unternehmens mit mehr als 500
Mitarbeitern zu einem betrieblichen Prüf-
verfahren im Hinblick auf die Vergütung.
Hier wird ein neuer Markt geschaffen. Das
gibt es nicht in Großbritannien, nicht in
Frankreich, nicht in den USA. Die Geset-
zesbegründung stellt fest: „Im Bereich der
Wirtschaft entstehen […] keine Mehrkos-
ten“. Das zeugt von Unkenntnis oder von
Unehrlichkeit. Beides ist schlimm.
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