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11|2016
WEG §§ 21, 22, BGB § 1004
Genehmigungsbeschluss für Müllbox
Wenn eine Änderung des optischen Erscheinungsbilds des Eingangs-
bereichs gerügt wird, müssen Angaben dazu erfolgen, inwieweit sich
dies negativ auswirkt. Eine Heckenanpflanzung kann eine Maßnahme ord-
nungsmäßiger Verwaltung im Sinne des § 21 WEG und keine einfache bau-
liche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG darstellen (vgl. BayOLG, NJW-RR
1991, 1362). Würde ein Genehmigungsbeschluss (hier eine Bretterwand
betreffend) nicht für ungültig erklärt, könnten die Betroffenen wegen
dessen Bestandskraft ihren möglichen individuellen Beseitigungs-
anspruch aus § 1004 BGB i. V. m. § 22 Abs. 1 WEG nicht mehr geltend
machen. Auch wenn § 22 Abs. 1 WEG kein „variables Quorum“ regelt und
der Verwalter einen Positivbeschluss über die Genehmigung in Form
eines Zitterbeschlusses verkünden durfte, ändert dies nichts daran, dass
der Zitterbeschluss auf Anfechtung für ungültig erklärt werden muss.
AG Hamburg-Blankenese, Urteil vom 23.3.2016, 539 C 15/15 (rkr.
nach Berufungsrücknahme)
Bedeutung für die Praxis
Wird eine bauliche Veränderung eines Mitwohnungseigentümers, die bei
rechtmäßigem Vorgehen einen Beschluss nach § 22 Abs. 1 WEG voraus-
setzt, faktisch durchgeführt, dann kann der Umbauende dem individuellen
Beseitigungsanspruch durch einen von ihm initiierten Genehmigungsbe-
schluss die Durchsetzbarkeit zumindest vorläufig nehmen. Zuerst muss der
jüngere Genehmigungsbeschluss rechtskräftig für ungültig erklärt werden.
Sonst kann wegen dessen Existenz ein individueller Beseitigungsanspruch
aus § 1004 BGB i. V. m. § 22 Abs. 1 WEG nicht geltend gemacht werden.
Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz gibt es bei bereits in die Tat umgesetzten
Baumaßnahmen kaum Probleme.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 10, 15 Abs. 3, 21 Abs. 8
Begründung eines Sondernutzungsrechts; gerichtliche Ersetzung einer Vereinbarung
1a. Die Zuweisung im Gemeinschaftseigentum stehender Flächen an
einzelne Wohnungseigentümer zur ausschließlichen Nutzung be-
gründet auch dann ein Sondernutzungsrecht und erfordert daher
eine Vereinbarung im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG, wenn alle
Wohnungseigentümer eine gleichwertige Fläche zur alleini-
gen Nutzung erhalten (Fortführung von Senat, Beschluss vom
20.9.2000, V ZB 58/99, ZMR 2000, 771 = BGHZ 145, 158, 167 f.).
1b. Eine Regelung, die im Interesse eines geordneten Gebrauchs des
Gemeinschaftseigentums dessen turnusmäßige Nutzung durch
einzelne Wohnungseigentümer vorsieht, führt dagegen grund-
sätzlich nicht zu einem (befristeten) Sondernutzungsrecht; sie
kann daher durch (Mehrheits-) Beschluss getroffen werden.
1c. Eine Vereinbarung kann durch eine gerichtliche Entscheidung nach
§ 21 Abs. 8 WEG ersetzt werden, wenn einem Wohnungseigentümer
nach § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG ein Anspruch auf ihren Abschluss zu-
steht, die übrigen Wohnungseigentümer diesen nicht erfüllen und
bei ihrer inhaltlichen Ausgestaltung Spielraum besteht.
BGH, Urteil vom 8.4.2016, V ZR 191/15
Bedeutung für die Praxis
Durch die – zeitlich begrenzte – Turnus-Regelung für die Nutzung von Gar-
tenflächen wird noch kein Sondernutzungsrecht begründet. Ein Sondernut-
zungsrecht liegt aber vor, wenn einemWohnungseigentümer ein unlimitiertes
Alleingebrauchsrecht am gemeinschaftlichen Eigentum zugesprochen wird.
Kompensationen zugunsten der rechtlich durch eine solche Regelung Benach-
teiligten sind bedeutungslos. Neu und falsch ist, dass nach BGH eine subsidiäre
gerichtliche Befugnis bestehen soll, nach eigenem billigem Ermessen den
Inhalt einer Vereinbarung zu bestimmen. Weder nach § 10 Abs. 2 Satz 3WEG
(so Elzer in Riecke/Schmid, WEG, 3. Auflage 2010, § 10 Rn. 199) noch gemäß
§ 21 Abs. 8WEG besteht diese Befugnis. § 21 Abs. 8WEG (vgl. Hügel/Elzer,
WEG, 2015, § 21 Rn. 151) enthält eine reine Beschlussersetzungsbefugnis,
keine weitergehende Möglichkeit der gerichtlichen Vereinbarungsersetzung.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg
WEG §§ 23 ff., 27; BGB § 242
Einsichtnahme in Verwaltungsunterlagen
1. Jeder einzelne Wohnungseigentümer hat einen Anspruch auf
Einsichtnahme in sämtliche Verwaltungsunterlagen, insbesondere
in die Aufzeichnungen und Belege der Abrechnung sowie in die
Einzelabrechnungen der übrigen Wohnungseigentümer.
2. Ein Wohnungseigentümer darf auch wiederholt in die Verwal-
tungsunterlagen einsehen. Dazu kann er einen weiteren Miteigen-
tümer und einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
3. Auf eine Verjährung möglicher Ansprüche kommt es für die Frage der
Berechtigung der Einsichtnahme nicht an. Die Grenze für das Ein-
sichtsrecht bilden allein das Schikaneverbot sowie Treu und Glauben.
LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 20.6.2016, 2-13 S 13/14
Bedeutung für die Praxis
Der Wohnungseigentümer bedarf für die Einsichtnahme keines Ermächti-
gungsbeschlusses. Er muss sich grundsätzlich nicht mit anderen Woh-
nungseigentümern absprechen. Die mehrfache Ausübung des Einsichts-
rechts ist zulässig. Damit scheitert der Einwand des Verwalters aus § 362
BGB (vgl. LG Hamburg ZMR 2012, 292). Nach ein bis zwei Jahren entsteht
ein solcher Anspruch obendrein neu; der Verwalter kann nicht Erfüllung
einwenden. Vom Einsichtsrecht in die Verwaltungsunterlagen ist auch ge-
deckt, dass sich der Einsicht Begehrende der Unterstützung und Hilfe eines
weiteren Miteigentümers bedient. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um
eine Vielzahl von Verwaltungsunterlagen handelt, deren äußerer Umfang
und Sachgehalt darauf hindeuten, dass es mehrerer Personen bedarf, um sie
zu sichten. Soweit keine Gefahren für den störungsfreien Geschäftsbetrieb zu
befürchten sind, hat der Verwalter die Einsicht auch in ältere Unterlagen zu
ermöglichen.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg