Personalmagazin 7-2018 - page 24

Sondern ich zeigte mich mit allen meinen Schwächen: Ich habe
kein Studium abgeschlossen und keine Ausbildung absolviert.
Ich bin nicht der Allwissende, der auf alle Fragen immer die
richtige Antwort hat, sondern ich bin jemand, der manchmal
nichts weiß. Je mehr ich über meine Schwächen gesprochen
habe, desto eher waren die Mitmenschen im Unternehmen
dazu bereit, sich zu öffnen. Dadurch sind starke Beziehungen
entstanden, die nur zwischen Subjekten bestehen können und
nicht zwischen Objekten.
Die Folgen für das Unternehmen waren beachtlich: Die Um-
sätze haben sich verdreifacht. Sie bekommen fünfmal mehr
Bewerbungen auf offene Stellen als früher. Ist das alles durch
einen Wandel in der Führung erreichbar?
Grün: Es geht darum, die Menschen zu achten und aufzu-
richten. Ich bin eine gute Führungskraft, wenn die Menschen
aufrechter nach Hause gehen. Der Glaube ist nicht unbedingt
die Voraussetzung dafür, aber die Offenheit. Das Geheimnis ist,
dass ich den Menschen nicht auf seine Arbeitskraft reduziere,
sondern seine Würde sehe.
Sie raten jeder Führungskraft zu einem Segensritual. Was
steckt dahinter?
Grün: Das Segensritual besteht darin, die Sonne in die Herzen
der Menschen zu schicken, dass es heller und wärmer wird in
ihnen. Es geht darum, die Mitmenschen besser wahrzunehmen.
Viele Wahrnehmungen hängen von Bildern ab. Manche Lehrer
gehen mit dem Bild des Dompteurs in die Schule. Das ist ziem-
lich anstrengend. Manche Führungskräfte tragen das Bild vom
Sandwich mit sich oder das Hamsterrad. Das sind keine guten
Bilder. Wenn ich einen Segen schicke, wandelt sich die Haltung,
mit der ich jemandem begegne, und somit auch die Beziehung.
Dieses Ritual verwandelt mich und ermöglicht mir eine positivere
Einstellung zu den Menschen.
Stress und Arbeitsverdichtung lassenwenig Zeit. Wie führen
Sie dieses Ritual durch, Herr Janssen?
Janssen: Ich gehe morgens und abends in Stille. Aber das ist
das eine. Das andere ist die Frage: Wie kann sich so etwas auch
im Unternehmen wiederfinden? Wichtig sind Rituale statt Stan-
dards, denn Rituale geben das Gefühl der Selbstbestimmung.
Standards dagegen zwingen mich zum Funktionieren. Der Weg
von den Standards zu den Ritualen ist der Weg vom Sollen zum
Wollen. Das praktizieren wir schon bei uns.
Grün: Viele Unternehmen sagen: „Seitdem wir Rituale haben,
haben wir eine größere Leistung.“ Dafür gibt es zwei Gründe:
Erstens wecken Rituale Gefühle. Viele äußern hierbei Gefühle,
die sie ein einem normalen Gespräch nicht äußern würden.
Zweitens schaffen Rituale eine Firmenidentität.
Aber ein Wirtschaftsunternehmen hat am Ende des Tages
wirtschaftliche Ziele zu erfüllen. Wie schaffen Sie es, die
Mitarbeiter dahin zu bringen, Ihre Ziele zu erreichen?
Janssen: Wir haben keine wirtschaftlichen Ziele. Wir haben eine
Synthese, die heißt: Die Wirtschaftlichkeit ist die Basis unserer
Existenz, aber nicht der Sinn unseres Handelns. Der Sinn unseres
Handelns ist ein ganz anderer, nämlich Menschen erfolgreich zu
machen. Das bedeutet für uns, dass jeder Mensch die Freiheit hat,
das zu leben, was ihm wirklich wichtig ist. Wenn ich jemandem
eine Aufgabe gebe, heißt das, er soll das tun. Aber Sollen hat nichts
mit Freiheit zu tun. Die Mitarbeiter formulieren selbst, was ihnen
Erfolg bedeutet. Es gibt keine übergestülpten Unternehmensziele,
die erreicht werden müssen. Dafür braucht es kein Controlling
mehr, weil ein persönlich formuliertes Ziel nicht das ist, was je-
mand tun soll, sondern das, was jemand tun will.
„Wichtig sind
Rituale statt
Standards, denn
Rituale geben das
Gefühl der Selbst­
bestimmung.
Bodo Janssen
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