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GUERILLA RECRUITING
personalmagazin 01 / 12
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
ist Professorin für Inter-
national Management
an der Internationalen
Hochschule Bad Honnef.
Prof. Dr. Susanne Böhlich
ihre Mappen bei anderen
Kreativagenturen. Auf den
Bildern waren Stellenanzei-
gen versteckt. So fand sich
die Aufforderung „Und wann
zeigst du uns deine Mappe?
Jung von Matt sucht Art-
Direktoren“ als Recruiting-
Graffiti an Wände gesprüht
oder sogar auf einen Pullover
gestickt.
„Conspiracy Recruiting“
Variante vier ist das „Conspi-
racy Recruiting“ – eine Ver-
schwörung, um einen Plan
auszuführen, dessen Umset-
zung zum Schaden anderer
geschieht. Übertragen aufs
Recruiting heißt das, dass
sich potenzielle Bewerber
und Arbeitgeber treffen, oh-
ne dass die Anwerbung im Vordergrund
steht. Ziel ist zunächst der Informations-
austausch und das gegenseitige Ken-
nenlernen – das aber später durchaus in
ein Arbeitsverhältnis münden kann und
damit den gegenwärtigen Arbeitgeber
schädigt. Eine mögliche Form ist das so-
genannte Barcamp – eine offene Tagung
mit Workshops. Die Inhalte und der
Ablauf stehen nicht von Anfang an fest,
sondern werden von den Teilnehmern
zu Beginn der Tagung selbst entwickelt
und im weiteren Verlauf gestaltet. Jeder
Teilnehmer kann selbst eine sogenannte
Session veranstalten, deren Thema er
bestimmt, und Interessierte zur Teilnah-
me aufrufen. Barcamps dienen vornehm-
lich dem inhaltlichen Austausch und der
Diskussion, können aber auch eine Ver-
bindung zu potenziellen Mitarbeitern
schaffen. So tritt das Hamburger Unter-
nehmen Otto regelmäßig als einer der
Hauptsponsoren von Barcamps auf und
stellt Räumlichkeiten zur Verfügung.
Näher am klassischen Recruiting ist
das „BlaBQ“, das die Kölner Werbeagen-
tur Denkwerk erfunden hat. BeimGrillen
auf der Sonnenterrasse sollen potenzielle
Kandidaten die „kreativen Köpfe, Nerds
und Macher“ kennenlernen, sich am Ki-
cker oder der Spielekonsole entspannen
und erste Gespräche mit potenziellen
Vorgesetzten und Kollegen führen.
Einsatzfelder und Chancen
Guerilla-Recruiting kann in zweierlei
Hinsicht genutzt werden. Zum einen
als Beimischung, als Ergänzung zu an-
deren, klassischen Recruiting-Maßnah-
men – oft bei Großunternehmen, die
neue Wege gehen oder sich ein jüngeres,
dynamischeres Image geben wollen.
Mittelständische und kleine Unterneh-
men nutzen es, um mit einem geringen
Budget eine große Wirkung zu erzielen
und Aufmerksamkeit und Bekanntheit
zu erreichen. Guerilla-Recruiting bietet
den großen Vorteil, dass auch passive
Kandidaten oder Nichtsuchende aktiv
angesprochen werden können. Zudem
lässt sich oft auch eine sehr zielgenaue
Ansprache interessanter Adressaten-
gruppen realisieren.
Die Risiken für Unternehmen
Nicht vergessen werden sollten jedoch
die Risiken, die in diesem Ansatz ste-
cken. Gerade bei Großunternehmen ist
die Akzeptanz intern oft begrenzt, da
die Maßnahmen bewusst provokativ
sind und auf einem Grat zwischen Ori-
ginalität und Geschmacklosigkeit balan-
cieren. Zudem besteht bei erfolgreichen
viralen Maßnahmen das Risiko, dass das
eigentliche Ziel der Kampagne – Emplo-
yer Branding und Recruiting – in den
Hintergrund tritt und die Kampagne sich
losgelöst von der Marke verselbststän-
digt. Im Marketingbereich ist das „Moor-
huhn“ ein Beispiel – die Kampagne ist
bekannt, die dahinterliegende Marke
damit aber nicht mehr verbunden.
Manche Methoden sind rechtlich be-
denklich oder entsprechen nicht den
moralischen Grundsätzen des Unterneh-
mens. Auch können Botschaften verzerrt
undmit einer anderen Bedeutung weiter-
geleitet werden, die nicht der Intention
des Unternehmens entspricht. So wurde
ein humorvoller Film von Evonik in ei-
ner Form verfremdet, der mit dem Ju-
gendschutz in Konflikt kam. Außerdem
gilt: Je mehr Guerilla-Recruiting einge-
setzt wird, desto mehr kommt es zur
Reizüberflutung. Massenhaft Postkarten
in Kneipen verlieren dann ihre Wirkung
ebenso wie zu zahlreiche „lebende Stel-
lenanzeigen“ auf einer Tagung.
Guerilla-Recruiting hat dennoch ein
großes Potenzial. Es entspricht dem
Bedürfnis, auf unkonventionelle Weise
als Arbeitgeber auf sich aufmerksam zu
machen und gezielt die passenden Per-
sonen anzusprechen. Entscheidend ist
eine vorsichtige und sorgfältige Planung
der Maßnahme, um etwaige Imageschä-
den in Folge misslungener Versuche aus-
zuschließen. Das Unternehmensimage,
die gewählte Maßnahme, die anvisierte
Zielgruppe und die gewählten Medien
müssen zusammenpassen.
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