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PERSONALAUSWAHL
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personalmagazin 01 / 12
„Der Auswahlprozess eskaliert“
INTERVIEW. Bewerber wollen sich optimal darstellen. Das ist zunächst kein Pro-
blem, verändert aber doch den Auswahlprozess, zeigt Professor Cornelius König.
personalmagazin:
Bewerber wollen sich
bei der Personalauswahl möglichst
positiv darstellen. Müssen Personaler
deswegen sehr misstrauisch sein?
Cornelius König:
In der Praxis wird diese
negative Ansicht tatsächlich oft ver-
treten. Personaler haben Angst, dass
Bewerber stark übertreiben und sie
belügen. Sie sind darum ständig be-
müht, die Schummeleien aufzudecken.
Ich halte das aber für übertrieben. Man
kann keinen guten Kontakt zu einem
Bewerber aufbauen, wenn man ihm mit
großem Misstrauen begegnet.
personalmagazin:
Das bedeutet, Personaler
müssen gar keine Angst vor übertrie-
bener Selbstdarstellung haben?
König:
Manche Wissenschaftler würden
diese Frage mit „Ja“ beantworten. Sie
vertreten die These, dass es bei der
Bewerbung nicht um die Wahrheit geht,
sondern darum, dass sich die Kandi-
daten an die soziale Situation anpassen
müssen. Wenn sie das beherrschen, sei
dies eine sehr positive Fähigkeit, die
den Bewerber qualifiziert.
personalmagazin:
Das klingt so, als ob Sie
diese Ansicht nicht teilen ...
König:
Ich denke, die Wahrheit liegt
hier in der Mitte. Es ist schon so, dass
die Personalauswahl eine soziale
Situation mit eigenen Spielregeln ist.
Und Recruiter können erwarten, dass
Bewerber diese kennen. Aber es kann
nicht sein, dass in der Personalauswahl
ausschließlich das Beherrschen dieser
Spielregeln überprüft wird. Gleichzeitig
sollte man dem Bewerber nicht völlig
misstrauen, aber auch nicht davon
ausgehen, dass er keinesfalls übertreibt
bei seiner Selbstdarstellung.
personalmagazin:
Wie kommen Sie zu
dieser Ansicht?
König:
Ich habe zusammen mit anderen
Kollegen in einer Studie untersucht, wie
Bewerber sich im klassischen Auswahl-
prozess mit Bewerbungsunterlagen und
Interview verhalten. Dafür haben wir
Bewerber danach gefragt, wie sie sich
in diesen Situationen bisher verhalten
haben. Dann haben wir Personaler, die
Hochschulrekrutierung betreiben, dazu
befragt, welche Verhaltensweisen sie
von Bewerbern erwarten.
Indem wir die
Antworten miteinander in Beziehung
gesetzt haben, konnten wir feststel-
len, dass das tatsächliche Verhalten
unglaublich hoch mit den Erwartungen
übereinstimmt. Es gibt offensichtlich
von beiden Seiten eine Übereinstim-
mung darin, dass man gewisse Spielre-
geln einhält. Kleinere Übertreibungen
werden dabei durchaus akzeptiert.
personalmagazin:
Was wäre denn so eine
kleinere Übertreibung?
König:
Zum Beispiel erwartet jeder
Recruiter, dass der Bewerber erklärt,
warum er sich bei seinem Unterneh-
men beworben hat und warum diese
Stelle die attraktivste ist. Hier setzt
der Recruiter schon selbst voraus,
dass der Bewerber ein wenig schum-
melt. Schließlich weiß er, dass sich die
Bewerber natürlich auch auf andere
Stellen bewerben – trotzdem darf das
kein Bewerber offen aussprechen.
personalmagazin:
Wo liegt denn dann die
Grenze zwischen einer kleinen Über-
treibung und einer Lüge?
König:
Hier gibt es einen Graubereich.
Unsere Studienergebnisse zeigen keine
eindeutige Grenze auf. Wann genau ein
Recruiter eine Verhaltensweise als Lüge
des Bewerbers beurteilt, hängt vom
Einzelfall ab.
personalmagazin:
Haben Sie die Bewerber
denn auch gefragt, ob sie lügen?
König:
Ja, wir haben in der Studie auch
heiklere Fragen gestellt: Zum Beispiel,
ob die Bewerber sogar gefälschte Do-
kumente einreichen würden. Aber das
scheint eher die Ausnahme zu sein.
ist Professor am Lehrstuhl für Arbeits-
und Organisationspsychologie der
Universität des Saarlandes. Er forscht im
Bereich der Personalauswahl.
Prof. Dr. Cornelius König