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TITEL
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PERSONALAUSWAHL
nommen werden oder der Einstieg in ein
Gespräch sein.
Höherer Stellenwert im Ausland
In den USA geht es formalisierter zu:
Dem früheren Arbeitgeber wird sehr
häufig ein strukturierter Fragebogen
oder sogar ein Beurteilungsbogen mit
Skalen zugesandt. Das Feedback ist frei-
willig – die Antwortkultur aber bestän-
dig. Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit
und der Verlauf des Arbeitsverhältnisses
werden abgefragt – Aspekte, die in
Deutschland Zeugnisse aufgreifen. Nicht
zuletzt deshalb sind die Fragebogen in
Deutschland nicht üblich. Ohnehin hat
die Vorliebe der angelsächsischen Per-
sonaler für Referenzen unterschiedliche
Ursachen. Ausführliche Lebensläufe und
Arbeitszeugnisse sind typisch deutsch
– die knappen Bewerbungsschreiben in
Großbritannien und in den USA machen
zusätzliche Quellen erforderlich – und
das auf allen Hierarchieebenen.
In Deutschland werden Referenzen in
der Regel bei Führungskräftepositionen
oder bedeutenden Funktionen für Fach-
leute eingeholt. „Arbeitszeugnisse sind
oft Teil eines strukturierten Trennungs-
prozesses“, begründet Markus Weber
den Anstieg referenzieller telefonischer
Rückfragen und ihren Wert. Spielent-
scheidend sind bei allen Telefonaten die
Fragen. Ohne professionelle Gesprächs-
führung gibt es keine zusätzlichen Infor-
mationen. Eine Hypothese (etwa: „Der
Kandidat hat geflunkert oder Negatives
fiel seiner Vergesslichkeit anheim.“) er-
leichtert solch ein Gespräch. Zur guten
Vorbereitung gehört, dass der potenzielle
Arbeitgeber den Job kennt, um den es
geht. Außerdem sollte er sich Arbeits-
und Entscheidungssituationen möglichst
konkret beschreiben lassen. Einschät-
zungen erhält der suchende Personaler
auch, wenn er nachfragt, ob der Bewerber
Erfahrungen in den Punkten hat, die in
der Stellenbeschreibung gewichtig sind.
Bei allen Antworten muss derjenige, der
die Infos einholt, intelligent zuhören kön-
nen. Denn erst die Reflexion bringt das
Mehr an Wissen und so die Abrundung
des Bilds eines Kandidaten.
Professor Arnulf Weuster, der Perso-
nalwirtschaft an der Hochschule Offen-
burg lehrt, beobachtet, dass ehemalige
Vorgesetzte am meisten geschätzt wer-
den als Beurteiler. Private Kontakte wie
der Vorsitzende im Tennisverein können
wenig beitragen. Vernachlässigt werden
in seinen Augen ehemalige Kollegen.
„Dabei können gerade sie sehr gut ein-
schätzen, ob jemand organisiert, wie er
im Team agiert und was derjenige selbst
entwickelt oder zur Entwicklung bei-
trägt“, erklärt Weuster. Einen weiteren
Vorteil sieht der Personalauswahlspezia-
list darin, dass „das Eindrucksmanage-
ment gegenüber den Chefs wegfällt“.
Eindrucksmanagement findet auch
im Internet statt. Die sozialen Online-
Netzwerke laden geradezu dazu ein. Auf
Karriereplattformen wie Xing bemühen
sich die Nutzer, in einem positiven Licht
zu erscheinen. Der schnelle Klick ins
Web sollte daher mit ausreichend Skep-
sis einhergehen. Immerhin gibt es genug
Beispiele dafür, dass in Social Media po-
sitiv wie negativ übertrieben wird. Und
der „Checker“ kann sich beim Bewerber
im direkten Gespräch leicht disqualifi-
zieren, wenn er auf plumpe Falschmel-
dungen hereinfällt.
Das AGG gilt natürlich auch hier
Ohnehin gilt für Referenzauskünfte
– und das nicht nur aus Höflichkeit –,
dass das Privatleben tabu bleibt: Religiö-
se Zugehörigkeit, sexuelle Vorlieben,
politische und weltanschauliche Über-
zeugungen dürfen nicht Gegenstand des
Gesprächs werden. Auch Diskussionen
darüber, ob die noch junge Kandidatin
wohl im Job bleibt oder doch bald eine
Familie gründen wird, müssen sich alter
und potenzieller Arbeitgeber verkneifen.
Das AGG gilt für den gesamten Prozess
der Personalauswahl.
Ein Grundproblem besteht jedoch im-
mer beimEinholen von Referenzen. Ganz
gleich, aus welcher Quelle geschöpft
wird, bleibt ein Dilemma schwer lösbar:
Der Nachfragende kennt die Maßstäbe
des Befragten nicht – oder nicht genau
genug. Ein Abgleich mit der eigenen
Firmenkultur, um so die Erfolgschance
der künftigen Führungskraft besser zu
bewerten, ist nur begrenzt möglich. Und
deswegen bleibt die Referenz einMosaik-
stein unter anderen – und dazu einer,
über den der Bewerber im Normalfall
kein Feedback erhält. Professor Weuster
rät Entscheidern zu einer Ausnahme:
„Wenn über den Kandidaten hergezogen
wird, sollte er das erfahren.“
Ruth Lemmer
ist freie Journalistin in Düsseldorf.
TIPPS
Zustimmung des Kandidaten einholen: Auch wenn er nur Menschen nennt, die ihm
wohlgesonnen sind, bringt ein Referenzgespräch Zusatzinformationen.
Referenzgespräch genau vorbereiten: Der Fragende sollte Job und Branche einschätzen
können.
Wie-Fragen bringen mehr Information als Was-Fragen: Tätigkeiten stehen im Lebens-
lauf und im Zeugnis, der persönliche Arbeitsstil und die Leistungsfähigkeit nicht.
Konkret werden: Schilderungen von Arbeitssituationen enthalten interessante Zwi-
schentöne.
Nehmen Sie Ihrem Gesprächspartner die Last der Verantwortung: Nicht alles hängt von
seinem Urteil ab, es geht nur um die Abrundung des Bilds.
Wie Sie gute Antworten erhalten