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Zuwanderung nachhaltig bewältigen
Münster/München – Voranzustellen ist: mit dem Begriff „Zuwanderung“ ist weit mehr gemeint als mit dem Begriff
„Flüchtlinge“. Im Jahr 2015 sind 2,14 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen, abzüglich der Fortzüge ergab
sich ein Wanderungsüberschuss von rund 1,14 Millionen Menschen. Davon hatte ein gutes Drittel die Staatsangehörig-
keit eines europäischen Landes und reiste demnach nicht als Flüchtling oder Asylsuchender ein. 47 Prozent waren Staats-
angehörige asiatischer- und sieben Prozent Staatsangehörige afrikanischer Länder. Nur bei ihnen kann, auch wenn die
Wanderungsstatistik dazu keine Angaben macht, in der Mehrheit von einer Flucht-Motivation ausgegangen werden.
Dennoch bedeutet natürlich die Zuwan-
derung Flüchtender derzeit die größte
Herausforderung – auch und gerade für
den Wohnungsmarkt. Denn der vielerorts
ohnehin bestehende Mangel an günstigen
Wohnungen wurde durch die 2015 extrem
gestiegene Nachfrage erheblich verschärft.
Kommunen und Wohnungsunternehmen
haben die zeitweilig extrem angespannte
Situation vielerorts in gemeinsamer Kraft-
anstrengung zu bewältigen gewusst. Im
September vergangenen Jahres konnten
die Städte und Gemeinden mit mehr als
10.000 Einwohnern Unterkünfte für rund
eine halbe Million Menschen bereitstellen.
Bis Ende April 2016 war Wohnraum für
weitere 340.000 Flüchtlinge dazugekom-
men. Diese Leistung ist angesichts fehlen-
der Vorbereitungsmöglichkeiten gar nicht
hoch genug anzuerkennen.
Doch trotz dieses großen Engagements
und der deutlich sinkenden Flüchtlings-
zahlen – bis Ende August 2016 flüchteten
in diesem Jahr nur noch 257.000 Men-
schen nach Deutschland – ist das Prob-
lem nicht gelöst. Die größte Schwierigkeit
stellt dabei die fehlende Planungssicherheit
dar. Die verschiedenen Prognosen über die
zukünftige Zuwanderung variieren so stark,
dass es fast unmöglich ist, valide Bedarfs-
werte für Wohnraum zu ermitteln. Wie
viele Menschen kommen, wie viele blei-
ben dauerhaft, wie hoch ist der durch sie
generierte Familienzuzug, welche demo-
grafischen Basiswerte bringen sie ein, wo
wollen sie wohnen?
Hinzu kommt, dass der Handlungsbedarf,
obwohl nicht klar zu beziffern, ein drin-
gender ist: Denn Wohnraummangel zieht
immer eine ganze Palette sozialer Kon-
flikte nach sich, deren Folgen die Gesell-
schaft teuer zu stehen kommen können.
Die öffentliche Hand, aber auch die Woh-
nungswirtschaft hat also ein hohes Inter-
esse an der raschen Behebung dieses Man-
gels. Uns Immobilienfinanzierern kommt in
dieser Gemengelage die Aufgabe zu, auf
die Nachhaltigkeit der dazu angestoßenen
(Bau-)Maßnahmen zu achten. Nachhaltig-
keit ist in diesem Zusammenhang aller-
dings ein sehr vielschichtiger Begriff. Dazu
gehört die Frage nach den Standorten,
nach Makro- wie Mikrolage betrachtet, und
deren soziodemografischen Konsequen-
zen ebenso wie die Frage der bautechni-
schen Zukunftsfähigkeit, von Gebäuden,
zum Beispiel deren Nachverwertung. Diese
Aspekte dürfen nicht der Dringlichkeit der
Aufgabe geopfert werden. Der GdW hat
eine Reihe von unterstützenswerten Vor-
schlägen für die Beschleunigung des Bau-
prozesses gemacht. Auch wir sagen „Ja“
zu weniger Bürokratie und weniger Aufla-
gen im Antrags- und Genehmigungswesen.
Obacht aber bei einer Absenkung von tech-
nischen Standards und Mindestanforderun-
gen! Hier muss besonders sorgfältig hin-
geschaut werden. Denn eine Erleichterung
etwa bei Vorschriften der Energieeinspar-
verordnung, des Emissionsrechtes oder des
Brandschutzes mögen das Bauen zunächst
kostengünstiger und schneller machen.
Die vermeintlichen Vorteile können sich bei
einer Nachnutzung jedoch schnell als gra-
vierende Nachteile erweisen.
Städte und Gemeinden stehen vor einer
großen Herausforderung. Alle Prozessbe-
teiligten sind aufgefordert, sie bei deren
Bewältigung zu unterstützen. Auch wir
Immobilienfinanzierer halten dafür engen
Kontakt mit unseren kommunalen und
wohnungswirtschaftlichen Kunden, um
gemeinsam langfristig wirtschaftliche
Lösungen zu finden.
Besuchen Sie die Diskussionsrunde zum Thema
Zuwanderung am 4. Oktober um 15:00 Uhr am
Stand der BID in Halle B2 (Stand 220).
BUNDESPOLITIK
Foto: WL BANK
Dr. Carsten Düerkop
Vorstand
WL BANK
ANALYSE
Mehr Stadt wagen
München – Deutschlands Ballungsräume brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum. Wo und wie aber soll er entstehen?
Vor allem um diese Fragen geht es am Mittwochnachmittag auf dem BID-Stand bei der Podiumsdiskussion „Das Urbane
Quartier der Zukunft – mit mehr Dichte und größerer Nutzungsvielfalt“. Die Diskutanten haben der wi bereits vorab ihre
Sicht der Dinge dargelegt und sind sich einig: Angesichts begrenzter Flächen und steigender Grundstückspreise gibt es zu
mehr Dichte keine Alternative. Damit Dichte aber nicht zur Enge wird, sind allerdings auch modernes Flächen-, Sozial- und
Konfliktmanagement immer wichtiger.
Dichte hat viele Gesichter. Ob in großen
Siedlungen, neuen Stadtquartieren oder
bei der Quartiersergänzung: Immer geht
es darum, das Zusammenleben möglichst
ressourcensparend zu organisieren. Dichte
bietet aber auch darüber hinaus viele Vor-
teile – allen anderen voran kurze Wege,
die Möglichkeit zu einer guten Infrastruktur
oder gute Ansätze für effizienten Energie-
und Klimaschutz. Aber auch wenn mehr
Dichte einerseits Nutzungskonflikte zum
Beispiel zwischen Gewerbe und Wohnen
verringern kann, so birgt sie doch ande-
rerseits das Risiko sozialer Konflikte bis hin
zur Bildung sozialer Brennpunkte. „Mehr
Dichte wagen heißt mehr Stadt wagen,
mit all ihren Konsequenzen. Deshalb muss
dabei immer auch eine leistungsfähige
Verkehrs- und Sozialinfrastruktur, vielfäl-
tige Belegung, hoher architektonischer
Anspruch und eine urbane DNA von Anfang
an mitgedacht werden. Eine größtmögliche
Nutzungsdurchmischung und ein moder-
nes Sozialmanagement gehören für mich
in jedem Fall dazu. Wichtig ist dabei immer
die Orientierung am Ziel des gesamtgesell-
schaftlichen Zusammenhalts“, so
Maren
Kern
, Vorstand beim Verband Berlin-Bran-
denburgischer Wohnungsunternehmen
(BBU). Dr.
Bernd Hunger
, Vorsitzender
des Kompetenzzentrums Großsiedlungen,
wies auf einen weiteren Aspekt hin: „Die
großen Städte werden nicht umhinkom-
men, neue Wohnbebauung am Stadtrand
zu errichten. Aber nach welchen Kriterien?
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04.10.2016
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