Seite 67 - personalmagazin_2012_05

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RECHT
URLAUBSRECHT
„AuchAnwender sindbetroffen“
INTERVIEW. Über die Folgen des altersbedingten Differenzierungsverbots beim
tariflichen Urlaubsanspruch sprachen wir mit einer Spezialistin für Tarifrecht.
personalmagazin:
Wie sind jetzt Ur-
laubsansprüche aus dem Jahr 2011 im
TVöD-Bereich zu behandeln ?
Jutta Schwerdle:
Hier ist zu differenzieren:
Hat der Arbeitnehmer die zusätzlichen
Urlaubstage noch im Jahr 2011 recht-
zeitig verlangt, der Arbeitgeber den
Urlaub jedoch verweigert, steht dem
Arbeitnehmer jetzt ein so genannter
Ersatzurlaubsanspruch zu.
Hat ein Arbeitnehmer keine weiteren
Urlaubsansprüche geltend gemacht,
kann er für das Jahr 2011 grundsätz-
lich keinen zusätzlichen Urlaub mehr
verlangen. Die Unwissenheit über die
aktuelle Rechtslage ist kein Übertra-
gungsgrund.
Hat der Arbeitnehmer 2011 aus drin-
genden betrieblichen oder persönlichen
Gründen seinen Jahresurlaub nicht voll-
ständig erhalten, sondern beispielswei-
se nur 15 Urlaubstage genommen, so
wird automatisch der noch vorhandene
Urlaub übertragen. Dies sind jetzt die
restlichen bis zur Grenze von 30 Tagen
noch zustehenden Urlaubstage.
personalmagazin:
Viele Arbeitgeber sind
nicht tarifgebunden, sondern lehnen
sich lediglich an den Tarifvertrag des
öffentlichen Diensts an. Wie sieht es
hier mit dem Urlaubsanspruch aus?
Schwerdle:
Die Arbeitsverträge enthal-
ten in der Regel eine Verweisung auf
den Tarifvertrag in der jeweils gül-
tigen Fassung, also eine so genannte
dynamische Inbezugnahme. Sobald
im Arbeitsvertrag das Tarifrecht im
öffentlichen Dienst beziehungsweise
die dortige Vorschrift zum altersgestaf-
felten Urlaub in Bezug genommen wird,
gelten die gleichen Grundsätze wie bei
direkter Tarifbindung.
personalmagazin:
Überraschend schnell
haben sich die Tarifpartner auf eine
Änderung der Urlaubsvorschriften ver-
ständigt. Wie sehen die neuen Regeln
im Detail aus?
Schwerdle:
Bei Bund und Kommunen
haben ab dem 1. März 2012 neu einge-
stellte Arbeitnehmer Anspruch auf 29
Tage, nach dem vollendeten 55. Lebens-
jahr auf 30 Tage Urlaub. Auszubildende
und Praktikanten erhalten nach der
tariflichen Neuregelung grundsätzlich
noch 27 Urlaubstage. Allerdings gelten
Übergangs- und Besitzstandsrege-
lungen. So haben alle am 1. März 2012
bereits beschäftigte Arbeitnehmer und
Auszubildende für das Jahr 2012 noch
Anspruch auf 30 Tage Urlaub. Ab 2013
gilt die tarifliche Neuregelung grund-
sätzlich auch für diese Arbeitnehmer.
Wer jedoch am 31. Dezember 2011
bereits im Arbeitsverhältnis stand und
spätestens am 31. Dezember 2012 das
40. Lebensjahr vollendet, erhält auch in
Zukunft 30 Tage Urlaub.
personalmagazin:
Was raten Sie Arbeit-
gebern, die noch im März 2012 mit
einer Flut von Urlaubsanträgen über-
schwemmt worden sind?
Schwerdle:
Hier sollte keine Hektik an
den Tag gelegt werden. Wie geschildert,
können die Arbeitnehmer unter
bestimmten Voraussetzungen noch
Urlaubsansprüche für 2011 geltend ma-
chen. Der Urlaub muss nach § 26 TVöD
spätestens am 31. März angetreten
sein. Diese tarifliche Verfallsregelung
führte dazu, dass zahlreiche Arbeit-
nehmer noch im März die zusätzlichen
Urlaubstage verlangt haben. Hat der
Arbeitgeber den Urlaubsantritt im März
abgelehnt – zum Beispiel mit Verweis
auf die Empfehlung mancher Arbeitge-
berverbände, aus dem BAG-Urteil keine
voreiligen praktischen Konsequenzen
zu ziehen –, so kann der Arbeitnehmer
die zusätzlichen Urlaubstage nach § 26
TVöD noch bis zum 31. Mai antreten.
Danach findet nach dem Tarifvertrag
keine weitere Übertragung mehr statt.
ist Rechtsanwältin, leitet das Institut
für Tarif- und Arbeitsrecht TVöD-
Consult, Offenburg, und ist Autorin
zahlreicher Fachbeiträge zum TVöD.
Jutta Schwerdle
05 / 12 personalmagazin
Das Interview führte
Thomas Muschiol.