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BOREOUT
MANAGEMENT
05 / 12 personalmagazin
Bei der Arbeit vor Langeweile einschlafen. Für Boreout-Betroffene ein Albtraum.
Der bewegt wahrscheinlich wenig an
seinem Arbeitsplatz, sitzt Meetings und
Routinen aus – vielleicht ohne sich zu
beschweren oder zu beklagen, aber nicht
ohne jeglichen Leidensdruck.
Über Nicht-Leistung spricht niemand
Bei den Gesundheitsdiensten der Un-
ternehmen kommen die belastenden
psychischen Störungen durch Ödnis am
Arbeitsplatz weniger häufig an als der
leistungsbewusste Bruder Burnout. „Wer
gibt schon gerne zu, dass er die Segel
nicht mehr setzen kann“, gibt Mediziner
Olaf Tscharnezki, Leiter des werksärzt-
lichen Diensts von Unilever Deutschland
in Hamburg, zu bedenken. Deshalb exis-
tiert Boreout seiner Meinung nach eher
„als kleine Welle auf dem Dorfteich denn
als Tsunami“.
Dem stimmen auch die obersten Medi-
ziner beim Düsseldorfer Markenartikel-
hersteller Henkel und beim Ingolstädter
Autobauer Audi zu. „Wenn sich einer
erschöpft fühlt und innerlich gekündigt
hat“, so Henkel-Werksarztchef Antonius
Reifferscheid, „entsteht diese Situation
immer durch eine Verquickung von Per-
sönlichkeit, Privatem und dem Arbeits-
platz.“ Da ist der werksärztliche Dienst
nicht der erste Ansprechpartner.
Die Führungskräfte sind in der Pflicht
Audi-Betriebsarzt Joachim Stork ver-
weist auf die Studien des Düsseldorfer
Medizinsoziologen Johannes Siegrist zu
Gratifikations- und Kränkungskrisen:
„Es geht häufig um Enttäuschungen. Da
sind Chef und Mitarbeiter im Konflikt
oder der Rahmen für die Arbeit stimmt
nicht mehr.“ In beiden Fällen empfiehlt
der Präventionsmediziner, miteinander
zu reden. Gespräche zwischen Führungs-
kräften und Mitarbeitern sind für Stork
ohnehin das Managementrezept Num-
mer eins. Auch wenn man nicht alle Pro-
bleme beseitigen könne, käme man aber
einer Lösung näher. Und sei es durch Ar-
beitsplatz- oder Abteilungswechsel, um
die ungute Situation zu beenden.
Professor Ulrich Hegerl, Vorstands-
vorsitzender der Stiftung Deutsche
Depressionshilfe, kommt den Personal-
verantwortlichen zu Hilfe und warnt
davor, „zu stark auf den Auslöser zu
schauen“. Zwar begrüßt er es, dass über
die „Tickets Burnout und Boreout“ man-
che mit Depression leichter zu einer pro-
fessionellen Behandlung finden, doch er
weist zugleich darauf hin, dass „es ohne
Disposition trotz aller negativen Erleb-
nisse meist nicht zu einer depressiven
Erkrankung kommt“. Der Psychiatrie-
Direktor an der Uniklinik in Leipzig:
„Neben Unter- und Überforderung kann
ein Urlaubsantritt, eine Beförderung,
Liebeskummer, Verlusterlebnisse und
vieles mehr möglicher Auslöser für eine
Depression sein. Für die Diagnose und
die Behandlung genügt es nicht, den
Auslöser zu kennen.“
Störungen unterhalb von Krank-
heitsbildern gilt es an anderer Stelle zu
beheben: Individuell, in der Arbeitsor-
ganisation, der Kommunikation oder im
Führungsverhalten der Vorgesetzten.
Damit teilen sich Personaler und Füh-
rungskräfte den schwarzen Peter, zumin-
dest in der Arbeitswelt. Personaleinsatz
und Personalentwicklung – in Zeiten der
Restrukturierung, aber auch unter Ver-
änderungen im Normaltempo – lauten
die Stichwörter, die Arbeitsleistung und
Zufriedenheit fördern. Buchautor Uwe
Seebacher beschwört den „Last Call for
HR“, aber gleichzeitig auch, Kompetenz
nicht zu verschleudern und gesundheit-
liches Wohlbefinden zu fördern.
Den richtigen Stress-Level finden
„Es ist gut für das psychische Wohlbefin-
den, wenn die Herausforderungen leicht
über den eigenen Fähigkeiten liegen“,
präzisiert Psychologin Daniela Gorges,
Gesundheitsreferentin beim Beratungs-
unternehmen Skolamed in Königswin-
ter. „Man muss weiterkommen können,
ohne überhöhten Stress zu erleben.“ Das
nutzt dem Mitarbeiter wie der Produkti-
vität des Unternehmens. Das Matching
von Funktion und Aufgabe auf der einen
sowie Kompetenz und Fertigkeiten auf
der anderen Seite muss in einen konti-
nuierlichen Prozess münden – mit dem
Ziel, Über- wie Unterforderung zu ver-
meiden.
Ruth Lemmer
ist freie Journalistin und Fach-
autorin in Düsseldorf.