Seite 28 - personalmagazin_2012_05

Basic HTML-Version

28
BOREOUT
personalmagazin 05 / 12
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Der kleine Bruder des Burnouts
TREND. Gegen Burnout gehen derzeit viele Unternehmen vor. Aber auch Bore-
out, der nicht so leistungsbewusst daherkommt, kann große Schäden anrichten.
Wohlbefinden und die Leistung. Innere
Kündigung mag kurzfristig eine Lösung
sein – zumindest wenn es in Familie
und Freizeit genügend spannenden Aus-
gleich gibt. Langfristig allerdings schlägt
Dienst nach Vorschrift aufs Gemüt.
Den Wert einer klinischen Diagnose
samt möglicher Behandlungen, die ihre
Wirksamkeit beweisen könnten, hat das
Wort Boreout zwar nicht. Dennoch: Als
Philippe Rothlin und Peter R. Werder
2007 in ihrem Buch „Diagnose Boreout“
beschrieben, dass neben der Über- auch
die Unterforderung im Job krank ma-
chen kann, haben sie den Finger in eine
Wunde der Personalstrategen gelegt. Sie
schrieben darüber, wie teuer die Diver-
genz zwischen Interesse, Motivation,
Ausbildung, Qualifikation und dem Job
für das Unternehmen ist – und wie bela-
stend für Beschäftigte.
Boreout birgt ebenso hohe Risiken
Mitarbeiter aufs Abstellgleis zu schieben
und abzuwarten, bis diese von selbst die
Firma verlassen, birgt demnach Risiken:
Fehltage, Inaktivität am Arbeitsplatz,
Blockadehaltung gegen Veränderungen
drücken den Unternehmensgewinn. Re-
strukturierungen im großen Ausmaß,
wie derzeit bei der Düsseldorfer West LB,
oder die Verwandlung von staatlichen
Unternehmen in privatwirtschaftliche,
wie bei den Bonner Riesen Telekom
und Deutsche Post, bringen es mit sich,
dass Abteilungen überflüssig und Teams
komplett neu gemischt werden. Es rech-
net sich, eine Lösung zu suchen, die die
bisherige Leistung würdigt und die künf-
tige in anderen Sektoren ermöglicht.
Wie stark Engagement und emotionale
Bindung den Leistungswillen beeinflus-
sen, belegt der Engagement-Index des
Beratungsunternehmens Gallup. Für das
Jahr 2011 meldet es in Deutschland, dass
die meisten Arbeitnehmer eine geringe
(63 Prozent) oder gar keine (23 Prozent)
emotionale Bindung an ihren Arbeitge-
ber haben. Dienst nach Vorschrift ist
noch eine milde Folge. Unzufriedenheit
macht sich breit.
Es muss nicht immer gleich der ganz
große Frust sein, damit die Langeweile
wächst und der Leistungswille sinkt.
Schon wenn die Routine den Arbeitstag
zu stark prägt, macht sich Unzufrieden-
heit breit. Personaldienstleister Robert
Half hat Personal- und Finanzprofis be-
fragt, was sie antreibt, den Arbeitgeber
zu wechseln: 50 Prozent nannten „mehr
Abwechslung“ und die Chance auf Wei-
terentwicklung. Und wer nicht wechselt,
weil die Familie, der Heimatort oder
Freizeitaktivitäten firmentreu machen?
Von
Ruth Lemmer
D
as Kreativlabor von Karlton
& Kurd hat es in sich: Dort
werden die Mitarbeiter ver-
sammelt, die das Verlagshaus
nicht mehr braucht. Das schicke „Cre-
ative Lab“ tarnt ein Containerdorf mit
Sterbezimmern. Boreout in Perfektion,
Personalpolitik mit Geheimstrategie. Ein
Hörspiel. Der Autor, Matthias Kapohl,
hat für den WDR mit „Karoshi – Arbeite
Dich tot!“ Verstörendes vertont.
Was bei Kapohl Fiktion bleibt, darüber
machen sich in der Realität Arbeitsme-
diziner, Psychologen, Personalfachleute
und Berater Gedanken. Wie auch für
den prominenteren Gegenbegriff Burn-
out, der für alle Varianten totaler Über-
arbeitung steht, gibt es für Boreout keine
einheitliche und schon gar keine wissen-
schaftlich abgesicherte Definition. Katja
Geuenich, leitende Psychologin der Rö-
her Parkklinik in Eschweiler, beobach-
tet, dass Boreout-Betroffene „nicht die
innere Kraft finden, mit Hindernissen,
die auf dem Weg zu ihrem Ziel liegen,
nachdrücklich umzugehen, sei es, weil
die Menschen nicht gelernt haben Ver-
antwortung zu übernehmen, sei es, weil
sie unter Selbstzweifeln leiden und eine
niedrige Frustrationstoleranz besitzen“.
Soweit die individualistische Per-
spektive. Wie bei Burnout schauen die
Seelenexperten allerdings auch auf die
Rahmenbedingungen – vor allem auf
den Arbeitsplatz. Unterforderung ist so
belastend wie Überforderung. Langewei-
le und Desinteresse beim täglichen Ab-
arbeiten seiner Aufgaben behindern das
Boreout ist die Kehrseite von Burnout. Mitarbeiter
sind nicht über-, sondern unterfordert im Job. Die
Folgen können aber ähnlich verheerend sein.