Seite 58 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2015_01

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EinWohnungsumzug will gut überlegt sein. Bringt
er doch nicht nur eine Menge Stress mit sich, son-
dernwirft auch die Frage auf, wie die neueWohnung
aussehen soll. Viele Vermieter verwenden hierzu
ein Formular, in dem angekreuzt werden kann, ob
man einen Balkon benötigt, Bad und Küche mit
Fenster wünscht, imersten Obergeschoss wohnen
möchte etc. „Na klar: das erleichtert unsereArbeit“,
sind sich viele Vermieter sicher. Interessenten kann
nämlich schnell die passende Wohnung zugeord-
net werden. Zumindest dann, wenn die gesuchte
Wunschwohnung vorrätig ist.
Durch die Ankreuzfelder besteht jedoch die Ge-
fahr, dass der Interessent auf bestimmte Woh-
nungskriterien erst aufmerksam gemacht wird.
Schlimmstenfalls werden unbewusste Wünsche
Entwicklung eines strukturierten Gesprächsleitfadens
Mehr als gute Worte
Der Kampf gegen Leerstand und um gute Mieter zwingt Vermieter gerade in strukturschwächeren
Regionen zuweilen zu Zugeständnissen. Wie durch einen professionellen Gesprächsleitfaden
nicht nur der Vermietungserfolg gesteigert, sondern auch gleichzeitig die vermietungsbedingten Kosten
gesenkt werden können, zeigt ein Projekt der Städtischen Wohnungsbau GmbH Schönebeck (SWB).
Janis Bailitis
JBC Janis Bailitis Consulting
Berlin
Danilo Dunkel
Dedecon Services e. K.
Lützen
Der SWB-Geschäftssitz: Von hier werden 4.036 eigene Wohnungen, 99 private und 46 Eigentumswohnungen,
57 Gewerbeeinheiten, 593 Garagen und 478 PKW-Stellflächen verwaltet
Quelle: SWB
geweckt und Vorstellungen erzeugt, die nicht oder
nur mit hohem finanziellen Aufwand erfüllt wer-
den können. Und so können sich für den Vermieter
wie für das Management unangenehme Fragen
ergeben: Wie kann der Interessent von eben ge-
äußertenWohnungswünschenwieder abgebracht
werden? Sollen erkannte Ausstattungsdefizite
durch kostenintensive Herrichtungs- und Mo-
dernisierungsmaßnahmen „geheilt“ werden? Und
wird die Abvermietung gerade der vermeintlich
unattraktiven Wohneinheiten durch dieses Vor-
gehen befördert?
Offen gefragt, offen gesagt
Ein Bummel durch das südlich Magdeburg gele-
gene Schönebeck/Elbe – wo die SWB ihren Sitz
hat – offenbart, wie andernorts auch, dass es
durchaus Menschen gibt, die in scheinbar nicht
so attraktiven Wohnungen leben: Selbst an einer
relativ lauten Straße haben sich für das obers-
te Geschoss Mieter gefunden; Wohnungen sind
vermietet, obwohl weder Parkplatz noch Balkon
vorhanden sind…Wurden dieseMerkmale imVer-
mietungsgespräch tatsächlich nachgefragt und
angekreuzt? Oder gibt es – abseits der verwende-
ten Befragungsformulare – andere Beweggründe,
die bei der Wahl des richtigen Zuhauses eine oder
sogar die entscheidende Rolle spielen?
Die SWB stellte sich genau diese Fragen. Sie wollte
mehr über ihre Interessenten wissen und erfah-
ren, was ihnenwirklichwichtig ist. Offene Fragen,
wie „Was haben Sie sich vorgestellt?“ oder „Wie
soll die Wohnung aussehen?“ gestatten dabei,
das Vermietungsgespräch vom Interessenten her
zu entwickeln. Eine derartige Gesprächsführung
liefert nicht nur offene Antworten, sondern bie-
tet darüber hinaus Gelegenheit, Hintergründe der
Interessentenwünsche zu erfahren und somit ein
Gespür dafür zu erlangen, mit wemman es zu tun
hat. Erst der konsequente Verzicht auf vordefi-
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MARKT UND MANAGEMENT