WIRTSCHAFT_UND_WEITERBILDUNG 06/2016 - page 16

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wirtschaft + weiterbildung
06_2016
Foto: violetkaipa / Shutterstock.com
INTERVIEW.
Auf dem diesjährigen „12. Europäischen
Trendtag” in Zürich hat die kanadische Psychologin Susan
Pinker darauf hingewiesen, dass nur der Face-to-Face-
Kontakt gesund, glücklich und produktiv macht. Über ihre
Botschaft und ihr Buch „The Village Effect: Why Face-
to-Face Contact Matters” sprach sie mit unserer Autorin
Bärbel Schwertfeger.
In Ihrem Buch „The Village Effect“ beschreiben Sie, wie wichtig
persönliche Begegnungen sind. Warum lassen sich diese nicht
durch virtuelle Kontakte ersetzen?
Susan Pinker:
Wenn wir persönlich kommunizieren, löst das
eine Kaskade von Neurotransmittern und Hormonen aus, die
Stress reduzieren, unsere Immunität erhöhen und ein Gefühl
des Wohlbefindens erzeugen. Das ist ein Grund dafür, warum
Menschen mit wenigen echten Kontakten laut einer neueren
Studie ein 30 Prozent höheres Sterberisiko haben. Das lässt
sich heute sogar neurophysiologisch erklären. Ein simpler Hän­
dedruck oder ein Schulterklopfen erhöhen die Ausschüttung
des Hormons Oxytocin und das wiederum reduziert Stress und
erhöht das Vertrauen. Menschen, die sich wohlfühlen, sind
nicht nur gesünder und widerstandsfähiger, sondern auch leis­
tungsfähiger.
Aber hat eine aufmunternde oder lobende E-Mail oder SMS
nicht denselben Effekt?
Pinker:
Nein. So zeigt zum Beispiel eine Studie, bei der Mäd­
chen einen stressigen Test absolvieren mussten, dass eine er­
mutigende Textnachricht der Mutter nach dem Test im Ver­
gleich zu einem Telefonat oder dem Treffen mit der Mutter kei­
nen Einfluss auf die Cortisolwerte im Speichel – einem Maß für
Stress – hatte. Im Klartext: Wenn Sie jemandem zeigen wollen,
dass Sie ihn unterstützen oder ihn aufmuntern wollen, können
Sie sich eine SMS sparen.
„Persönliche
Kontakte machen
produktiver“
Wichtig sind also vor allem die nonverbalen Signale?
Pinker:
Bei der virtuellen Kommunikation geht oft der reich­
haltigste Teil des Austauschs verloren – ein Blick, der Ironie
signalisiert, ein warmer Tonfall, der Vertrauen schafft, all
die subtilen Signale, die manchmal sogar entscheidend sind.
Wenn wir mit jemandem einer Meinung sind, zeigen wir das
unbewusst auch in unserer Körpersprache, indem wir unsere
Mimik oder Gestik synchronisieren. Die Forschungen von
Sandy Pentland und ihren Kollegen am MIT haben gezeigt,
dass sich durch diese versteckten sozialen Informationen rund
40 Prozent der Ergebnisse eines Bewerbungsgesprächs oder
einer Gehaltsverhandlung vorhersagen lassen. In einer Studie
mit IT-Spezialisten konnten sie nachweisen, dass Teams mit
persönlichen Kontakten bessere Leistungen zeigen, weil sie
mehr Zusammengehörigkeitsgefühl haben. Es entsteht mehr
Vertrauen in der Gruppe, was es auch einfacher für die Team­
mitglieder macht, andere zu fragen und um Hilfe zu bitten. Das
führt besonders bei komplexen Problemen zu einer höheren
Produktivität.
Was bedeutet das für den Arbeitsplatz?
Pinker:
Unternehmen sollten dafür sorgen, dass die Mitarbei­
ter eine Möglichkeit haben, sich in persönlichen Begegnungen
auszutauschen. Dabei kommt es nicht darauf an, über was sie
reden. Selbst der größte Tratsch ist keine verschwendete Zeit.
Das zeigt eine MIT-Studie in zehn Call-Centern einer ameri
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