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training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
03_2014
beitsort sowie die damit oft verbundenen
flüchtigen Vertragsverhältnisse von Men-
schen mit Organisationen (Teilzeit, Leih-
arbeit, Werkverträge, Befristungen ...),
sondern auch generell die Bindung nach
außen an Kunden, Standorte, Regionen,
Kooperationspartner und Lieferanten.
Die Grenzen verwischen. Wo die Organi-
sation beginnt und wo sie aufhört, wird
schwieriger zu erkennen und zu steuern,
vor allem für den Einzelnen, was sich
zum Beispiel dann bemerkbar macht,
wenn man abends um 22 Uhr noch ein-
mal die E-Mails checkt. All dies sind Hin-
weise darauf, wie sich die Komplexität
der Umwelt in der Komplexität der Orga-
nisationsstrukturen, der Abläufe und Ent-
scheidungen und dem Verhalten der Men-
schen widerspiegelt. Welche Folgen diese
Entwicklungen für die Ausübung der
Führungsrolle in Organisationen haben,
wird im Folgenden an drei Fallbeispielen
für typischerweise unklare Strukturen
verdeutlicht.
Fallbeispiel: Das Störfeuer
kommt von „oben“
Eine junge Referatsleiterin möchte im
Coaching in der Entwicklung ihrer Füh-
rungsrolle unterstützt werden. Schon
in der ersten Sitzung schildert sie, dass
ihr Chef ganz direkt auf ihre Mitarbeiter
zugreift und diesen Aufträge erteilt oder
sich die Mitarbeiter bei wichtigen Fragen
und Problemen direkt an den übergeord-
neten Chef wenden. Ihre Führungsrolle
hatte sie daher im Laufe der Zeit als eine
Unterstützungsfunktion für die Team-
mitglieder uminterpretiert. „Sich küm-
mern, damit alles läuft.“ war ihr Motto.
So konnte sie die Situation einigermaßen
meistern. Wenn es jedoch Probleme gab
oder sie etwas entscheiden oder durch-
setzen wollte, merkte sie, dass sie kaum
Einfluss auf ihre Mitarbeiter hatte. Auch
fühlte sie sich oft übergangen, weil wich-
tige Informationen an ihr vorbei im Team
landeten.
Jede Führungskraft kennt das und weiß,
wie es sich anfühlt, wenn übergeordnete
Chefs oder Chefinnen den eigenen Mit-
arbeitern Aufträge erteilen, also die zu-
ständige Führungskraft übergehen, oder
sogar Entscheidungen der zuständigen
Führungskraft wieder rückgängig machen
oder öffentlich kritisieren bzw. kommen-
tieren. Meist erfährt man als Führungs-
kraft zufällig zwischen Tür und Angel
davon und muss aufpassen, dass einem
in diesem Moment nicht die Gesichtszüge
entgleisen.
„Ober sticht Unter“, heißt dieses Prinzip
und wird in manchen Unternehmen auch
gerne über mehrere Hierarchieebenen
hinweg gespielt. Dahinter steckt meist
kein böser Wille. Vielleicht manchmal die
Angst der da oben, dass etwas nicht so
laufen könnte, wie man es auf höherer
Ebene gerne hätte oder die Vermutung,
dass es so besser und schneller geht oder
die untergeordnete Führungskraft nicht
so kompetent ist. Auch das Einsetzen
sogenannter Koordinatoren, Teamspre-
cher oder andere „Primus inter Pares“-
Lösungen fallen in diese Kategorie. Die
Folgen liegen auf der Hand: Für diese
„Führungskräfte“ ist es schwierig, Verant-
wortung zu übernehmen und die Rolle
auszufüllen. Was im Alltag vieler Unter-
Führung ist nichts, was auf der Basis
bestimmter Tools funktioniert und auch
nur sehr bedingt eine Frage von Füh-
rungsstärke und Charisma. Führung ist
vielmehr eine reflektierte Art der Bezie-
hungsgestaltung zu anderen Menschen
im Kontext von Organisationen. Außer-
dem ist Führung eine bewusste Form der
Beeinflussung von sozialen Systemen auf
der Basis von nützlichen Beschreibungen,
Erklärungen und Bewertungen.
Der Alltag von Führung und Management
in den heutigen Unternehmungen und
Organisationen ist geprägt von der Kom-
plexität der Aufgaben und der Umwelt.
Dies schlägt sich vor allem in den Orga-
nisationsstrukturen (in den Kommunika-
tions- und Entscheidungsstrukturen) nie-
der. Der moderne Organisationsalltag in
unserer schönen globalisierten Welt be-
deutet, sich in Mehrlinien-, Matrix-, Spar-
ten-, Netzwerk- oder anderen schwer zu
verstehenden und dynamischen Gebilden
zurechtzufinden und darin Führungsar-
beit zu leisten.
Hinzu kommen ­– zumindest in unserer
westlichen Welt – immer anspruchsvoller
und selbstbewusster agierende Mitarbei-
ter, die sich ihrer Kompetenzen bewusst
sind und sich ihre Organisation danach
aussuchen, ob diese zu ihrem Lebensstil
und ihren aktuellen Lebensplänen passt.
Dieses Phänomen wird durch den Begriff
Generation Y markiert. Es sind also nicht
nur die Organisationen, die komplexer
und dynamischer in ihren Strukturen
werden, sondern auch deren Außenbe-
züge zu den relevanten Umwelten verän-
dern sich. Dies betrifft nicht nur die mo-
dernen Formen von Arbeitszeit und Ar-
Was Coachs über
Or­ga­ni­sa­tionen wissen sollten
KOMPLEXITÄT BEARBEITEN.
Wer Führungskräfte coacht, sollte wissen, wie sich die
Struktur einer Organisation auf das Verhalten der Angestellten auswirkt. Unser
Fachautor Dr. Thomas Bachmann zeigt anhand von Beispielen, dass es keinen Sinn
macht, „wahnwitzige Anforderungen“ an die Persönlichkeit einzelner Führungskräfte zu
stellen, wenn die „strukturellen Gegebenheiten“ Effizienz verhindern.