Seite 57 - wirtschaft_und_weiterbildung_2014_01

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01_2014
wirtschaft + weiterbildung
57
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte liegt
auf dem Thema Selbstbeherrschung
beziehungsweise Selbststeuerung. Um
was geht es dabei genau?
Karolien Notebaert:
Selbststeuerung be-
ziehungsweise Selbstbeherrschung ist
die Fähigkeit, automatische Impulse zu-
gunsten von Zielen zu unterdrücken, die
weiter in der Zukunft liegen. Automa-
tische Impulse können beispielsweise
Emotionen, Gedanken oder ein Verlangen
sein. In jedem Fall werden sie schnell
und spontan erlebt. Wenn Ihr Chef Ihnen
eine negative Rückmeldung gibt, wer-
den Sie spontan negative Emotionen
wie Ärger, Enttäuschung oder Traurig-
keit empfinden. Wenn wir dagegen gutes
Essen sehen, empfinden wir automatisch
ein Verlangen danach. Wir können die-
sen Impulsen nicht entkommen. Wann
immer ein Impuls nicht im Einklang mit
unseren langfristigen Zielen ist, entsteht
ein Selbststeuerungskonflikt, der gelöst
werden muss. Wenn wir Ärger über unse-
ren Chef empfinden, können wir nicht im
Einklang mit unseren Gefühlen schreien
oder davonrennen, wenn es unser Ziel
ist, den Job zu behalten. Diese Regulation
von Gefühlen ist es, die ich als Selbst­
steuerung bezeichne.
Welchen Einfluss hat die eigene Selbst-
beherrschung auf die Entscheidungsfin-
dung von Menschen?
Notebaert:
Selbstbeherrschung ist rele-
vant in beinahe jeder Entscheidung, seien
es ökonomische Entscheidungen, soziale
oder persönliche. In einem Laden voller
hochwertiger Fernsehgeräte empfinden
viele Menschen den Impuls, sich ein
solches Gerät zu kaufen, auch wenn der
Preis außerhalb ihres Budgets liegt. Ein
Mangel an Selbststeuerung beziehungs-
weise die Unfähigkeit, solche Impulse zu
überwinden, hat schon viele Familien in
finanzielle Nöte gebracht. Kooperation ist
ein anderes Beispiel: Kooperationen ver-
langen zunächst eine Investition von uns,
sei es zeitlich, finanziell oder emotional.
Dieser Umstand könnte uns das Gefühl
geben, „ein solches Wagnis in unserem
ach so beschäftigten Alltag“ nicht ein-
gehen zu wollen, obwohl wir von einer
Zusammenarbeit langfristig profitieren
würden. Eine starke, gesunde Selbststeu-
erungsfähigkeit ist daher ein Schlüssel zu
beruflichem und privatem Erfolg.
Wie sieht Ihre Forschungsarbeit in die-
sem Bereich genau aus? Wie kann man
bei diesem Thema wissenschaftliche
Erkenntnisse erzielen?
Notebaert:
In erster Linie bin ich eine be-
haviorale Neurowissenschaftlerin. In mei-
ner jüngsten Studie habe ich untersucht,
welche Gehirnstrukturen an Entschei-
dungen, die Selbstbeherrschung erfor-
dern, beteiligt sind und welche Prozesse
die Verbesserung der Selbstbeherrschung
steuern. Die Ergebnisse zeigen, dass die
automatischen Impulse von Gehirnstruk-
turen gesteuert werden, die bei positiven
und negativen Emotionen eine Rolle spie-
len, beispielsweise das ventrale Striatum
und die Amygdala. Diese Gehirnstruktu-
ren besitzen einen sehr schnellen Aktiva-
tionsschaltkreis, weshalb wir die Impulse
automatisch verspüren.
Die Kontrolle dieser Impulse erfolgt durch
den Präfrontalkortex, eine Gehirnstruktur
mit langsamerer Reaktivität, die für ihre
Beteiligung unsere Anstrengung erfordert.
In einer neuen Studie untersuche ich die
Unterschiede zwischen den Gehirnen
von Personen mit guter und mit schlech-
ter Selbststeuerung. Neben Studien im
Bereich der Hirnforschung führe ich
auch viele Verhaltensexperimente durch.
Damit verfolge ich zwei Ziele: Zum einen
will ich herausfinden, welche Interventi-
onen und Trainings uns helfen können,
ein Versagen unserer Selbstbeherrschung
zu verhindern. Zum anderen geht es mir
darum, unsere Selbstbeherrschung auf
lange Sicht zu verbessern.
Wenn man Ihre komplexe wissenschaftli-
che Arbeit einmal auf eine simple These
herunterzubrechen versucht: Stehen wir
Menschen uns einfach zu oft selbst im
Weg?
Notebaert:
Haben Sie jemals in einem
Streit überreagiert? Sind Sie nach einem
stressigen Arbeitstag ungeduldiger mit
Ihren Kindern umgegangen? Sind Sie oft
abgelenkt, wenn Sie eine langweilige Ar-
beitsaufgabe erledigen müssen? Essen Sie
Ihre Lieblingsschokolade, wenn Sie trau-
rig sind? In all diesen Momenten gewin-
nen Ihre Emotionen die Oberhand und
bringen Sie dazu, sich selbst im Wege zu
stehen, wenn wir versuchen, einen Streit
zu schlichten, eine geduldigere Mutter
oder ein geduldigerer Vater zu sein oder
abzunehmen. Die Regulation negativer
Emotionen auf eine gesunde, konstruk-
tive Weise ist der zentrale Aspekt der
Selbststeuerung. Eine kürzlich erschie-
nene Studie hat gezeigt, dass wir etwa
während eines Fünftels unserer wachen
Zeit mit Selbststeuerungskonflikten zu
kämpfen haben. Das Problem daran ist,
dass wir diese Konflikte oft nicht als sol-
che erkennen.
Dr. Karolien Notebaert,
Universität Leuven,
Expertin für Willensstärke und Selbstkon­
trolle
Bernhard A. Zimmermann
, 1. Vorsitzender
der International Coach Federation
Deutschland e.V.