training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
01_2014
•
Odysseus 1
Die Bekanntheit der Mediation sorgt
dafür, dass Menschen sich mit einem Eh-
renkodex dazu verpflichten, Mediation in
geeigneten Fällen in Erwägung zu ziehen
und diese vorzuschlagen. So können sie
dem Konfliktpartner in einer Konfliktsitu-
ation sagen: „Ich habe mich zum Versuch
einer Mediation verpflichtet und schlage
diese damit vor – obwohl ich vermutlich
vor Gericht vorzügliche Karten hätte, die
Sache zu gewinnen. Aber das will ich gar
nicht.“
Praxistipp:
Anders als beim griechischen
Vorbild, kann sich der heutige Odysseus
beim Ehrenkodex selbst losbinden und
sich umentscheiden. Und ob der zweite
einverstanden ist, bleibt offen. Wegen
dieser Freiheiten empfiehlt sich die Un-
terzeichnung eines solchen Ehrenkodex.
Er hat keine Nachteile.
•
Odysseus 2
Am einfachsten ist der Beginn einer Me-
diation genau dann, wenn zwei Vertrags-
partner bereits mit Abschluss ihrer Ver-
träge sinngemäß in folgender Weise eine
entsprechende Vorsorge treffen: „Sollte
sich unsere gute Zusammenarbeit einmal
ändern, vereinbaren wir schon heute,
eine Mediation für die Konfliktlösung zu
wählen, bevor wir gerichtlich gegenein-
ander vorgehen.“
Praxistipp:
Hier bleibt die Bindung de-
zenter als in der Antike. Der Grundsatz
der Freiwilligkeit in der Mediation führt
immer dazu, dass alle Beteiligten die
Freiheit behalten, sich umzuentscheiden.
Daher stiftet diese Bindung besonders
großen Nutzen – ohne zu schaden.
Und Sie? Haben Sie mit mindestens einer
Person einen mündlichen oder schriftli-
chen Vertrag, bei dem Sie vermutlich lie-
ber eine Mediation versuchen würden,
als zu Gericht zu gehen? Halten Sie sich
an einen Ehrenkodex (ein Muster findet
sich unter
Ein Ehrenkodex ist ein bewährter Weg
zur Deeskalation.
Beispiel für eine erfolgreiche
Mediation
Das nun folgende Beispiel ist ein Zusam-
menschnitt aus fünf verschiedenen Me-
diationsfällen, die zum Schutz von Ver-
traulichkeit und Anonymität zu diesem
Fall zusammengefügt wurden. Das Be-
sondere an diesen fünf Fällen ist, dass die
Methode der „allparteilichen Erstgesprä-
che“ („For one and two“) zum Einsatz
kam. In jedem Fall wurde jeweils zuerst
mit einem, dann mit dem zweiten und
dann mit beiden Beteiligten gesprochen.
Gemeinsam ist den Fällen, dass in allen
fünf Konfliktkonstellationen zunächst nur
jeweils einer der Beteiligten die Mediation
wollte, am Ende alle mit einer Mediation
erfolgreich waren und eine Odysseus-
Klausel vereinbarten (zum Teil mit Hand-
schlag, zum Teil schriftlich).
Thilo Baum ist ein geduldiger Mitvierzi-
ger. Bevor er seinen Konflikt mit Mirko
Wirbel löst, vergehen zwei Jahre. Aus
heutiger Sicht finden beide: Es sind zwei
fast verschenkte Jahre. Das Bauunter-
nehmen, für das beide arbeiten, hat im
Kampf der Führungsmannschaft schwer
gelitten. Besonders gute Mitarbeiter
haben das Unternehmen verlassen, weil
durch den Konflikt zwischen Baum und
Wirbel kontinuierlich Aufträge wegbre-
chen. Dabei hat alles zunächst so vielver-
sprechend begonnen:
2010:
Das Familienunternehmen, das
Thilo Baum als Fremdgeschäftsführer seit
Jahren führt, besteht in der fünften Ge-
neration. Baum schätzt das Unternehmen
sehr – aber einige Strukturen erscheinen
ihm behäbig wie eine rostige, alte Kut-
sche. Baum sucht nach einem Stellver-
treter mit frischem Wind. Er stellt Mirko
Wirbel ein. Die sechsmonatige Probezeit
verläuft gut.
2011:
Die Vorbereitung zur Hundertfünf-
zigjahrfeier bringt heftige Konflikte zwi-
schen Baum und Wirbel. Wirbel schlägt
eine Mediation vor. Baum antwortet, man
habe jetzt wirklich Wichtigeres zu tun.
Beide fühlen sich sehr verletzt. Der Me-
diationsvorschlag klingt in Baums Ohren
eher nach einer Drohung als nach einem
Einigungsvorschlag. Die Vorbereitungen
und das Jubiläum leiden unter dem eisi-
gen Klima.
2013:
Die Stimmung hat sich weiter
verschlechtert. Inzwischen ist es Baum,
der überlegt, ob er selbst kündigen soll.
Für die Entlassung von Wirbel, an die
Baum zwischenzeitlich auch gedacht hat,
bräuchte er die Zustimmung der Unter-
nehmerfamilie. Und diese ist inzwischen
in der Baum-Wirbel-Frage auch zerstrit-
ten. Auf eine Kampfabstimmung will
Baum es keinesfalls ankommen lassen.
Viele gute Leute sind weg.
Baum wendet sich an ein Mediationsbüro
und erfährt, dass man auch ganz allein
zum Mediator gehen kann, bevor der
Zweite zustimmt. Baum nimmt das An-
gebot in Anspruch. In der ersten Stufe in-
formiert sich Baum – zunächst noch ohne
den anderen – über die Möglichkeiten
einer Mediation. Mediator und Mediant
erarbeiten, wie der erste Konfliktpartner
den zweiten erfolgreich zu einer Media-
tion einladen kann.
Baum möchte, dass es nicht so aussieht,
als würde er sich Wirbels Mediations-
wunsch von vor zwei Jahren verspätet
unterordnen. Die Art und Weise, wie
Wirbel den Mediationsvorschlag damals
gemacht hat, war aus Baums Perspektive
„unterirdisch“. Baum versetzt sich in sei-
nem Mediationserstgespräch in Wirbel
hinein. Er will nicht die gleichen Fehler
machen wie sein Stellvertreter damals. Er
will, dass seine Einladung zur Mediation
auf Wirbel wirklich einladend und nicht
konfliktverschärfend wirkt.
Er erarbeitet mit der allparteilichen Me-
diatorin, was er tun kann, um erfolgreich
zu sein. Nach 90 Minuten hat er einen
Weg gefunden, wie er die Einladung ge-
radlinig, souverän, wertschätzend und
r
Anita von Hertel
Mediatorin mit
dem Schwerpunkt
Wir tschaft und
Arbeitswelt, Medi-
ationslehrtrainerin und Dozentin für
Mediation und Konfliktmanagement
an Hochschulen und Instituten im In-
und Ausland. Sie hat seit 1986 eine
vierstellige Zahl von Führungskräften,
Beratern und anderen Profis aus- und
weitergebildet. Seit 2000 leitet sie
eine eigene Mediationsausbildung in
Hamburg.
Akademie von Hertel
Mediationshaus
Holzdamm 41, 20099 Hamburg
Tel. 040 5367911
Autorin