Seite 14 - wirtschaft_und_weiterbildung_2014_01

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14
wirtschaft + weiterbildung
01_2014
Der Manager,
der Luhmann schätzt
OE-Beratung.
Peter Bauer, der Ende 2012 aus gesundheit-
lichen Gründen als Vorstandsvorsitzender der Infineon AG
zurücktrat, obwohl sein Vertrag noch bis zum Jahr 2016 lief,
hat gerade eine Weiterbildung zum Organisationsberater
abgeschlossen und sich der Beratungsgesellschaft
Eidenschink & Partner („Spezialisten für Verständigung und
Wandel“) in Krailling bei München als Partner angeschlos-
sen. Hier spricht er über sein Selbstverständnis als Berater.
Einen Schwerpunkt Ihrer Weiterbildung zum Organisationsbe-
rater bildete die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Wie ver-
blüfft waren Sie als erfahrener Manager, als Sie hörten, dass
Organisationen für Luhmann aus Kommunikationsmustern
bestehen und nicht aus handelnden Menschen?
Peter Bauer:
Die meisten Manager glauben fest daran, dass
eine Organisation aus Menschen besteht. Dass die Mitarbeiter
für das System „Organisation“ zur Umwelt gehören und die Or-
ganisation selbst aus Kommunikationselementen besteht, war
für mich eine extrem erhellende Erkenntnis. Ich bin verblüfft,
dass dieses Gedankengut nicht weit verbreitet ist, denn die
Luhmann’sche Theorie ist für Manager sehr erleichternd. Sie
klärt die Führungsaufgabe!
Eine Organisation hat ganz eigene Ziele und Interessen: Sie will
langfristig überleben und muss dazu mehr Geld einnehmen als
sie ausgibt. Eine Organisation richtet sich deshalb oft genug
gegen die Interessen der in ihr arbeitenden Menschen. Zwei
Beispiele: Die Organisation muss daran interessiert sein, die
Arbeitskosten zu minimieren, das Individuum ist daran inte-
ressiert, sein Gehalt zu maximieren. Die Organisation braucht
stabile Routinen und Kontrolle, um effizient zu arbeiten, der
Mitarbeiter will Abwechslung, Autonomie und auch einmal
Neues ausprobieren. Eine Führungskraft hat die Aufgabe, zwi-
schen Organisation und Individuum sinnvoll und zielgerichtet
zu vermitteln.
Und worin besteht die Aufgabe eines Organisationsberaters?
Bauer:
In jeder Organisation existieren erlernte Muster, Ent-
scheidungen zu treffen und die Kommunikation zu gestalten.
Die Funktionalität oder Dysfunktionalität dieser Muster auf-
zudecken ist sehr wichtig, um die Leistungsfähigkeit einer Or-
ganisation zu erhöhen. Wir beschäftigen uns deshalb vorran-
gig mit den Kommunikations- und Entscheidungsmustern in
einem System. „Beschäftigen“ heißt, dass ich mich unvorein-
genommen damit auseinandersetze, ohne dem Auftraggeber
ein fertiges Beratungsprodukt überstülpen zu wollen. Die große
Herausforderung unseres Beratungsansatzes besteht darin,
dass ein Berater genügend Spürsinn mitbringt, um hinter die
täglichen Routinen zu schauen – dass er aufdeckt, was die
Organisation durch ihre Kultur und Entscheidungsmuster ver-
deckt. Diese Aufgabe reizt mich sehr.
Haben Sie sich schon während Ihrer Zeit als Vorstandsvorsit-
zender mit systemischer Organisationsentwicklung befasst?
Bauer:
Wenn ich das organisationstheoretische Wissen, das ich
heute habe, schon zu meiner Zeit als Vorstand gehabt hätte,
dann wäre ich bestimmt manchmal schneller zum Ziel gekom-
men. Was ich damals gemacht habe, beruhte zum größten
Teil auf Erfahrung, Intuition und meinem Menschenbild. In
der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 gab es zum Beispiel
eine Woche, in der wir bei der Infineon AG keinen einzigen
Foto: Pichler