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01_2014
wirtschaft + weiterbildung
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Auftragseingang verzeichnen konnten. Da bekommen Sie
als Vorstandsvorsitzender richtig Angst. Ich habe damals mit
dem oberen Führungskreis sehr viel Zeit verbracht, um eine
gemeinsame Sicht der Dinge herzustellen. In vielen Meetings
wurde abgeglichen, was die Krise für jeden Einzelnen bedeutet
und was zu tun und was zu lassen ist. So entstand eine Offen-
heit, die sehr viel ans Tageslicht beförderte, was sonst unter der
Decke versteckt geblieben wäre. Diese Offenheit hat nach mei-
ner Meinung dazu geführt, dass wir uns zu einer neuen, von
allen mitgetragenen Unternehmensstrategie durchgerungen
haben. Heute weiß ich, dass der Abbau von Informationsdefi-
ziten und die Klärung der Beziehungsebene im Sinne der Orga-
nisationsentwicklung wesentliche Voraussetzungen sind, um
erfolgreich Krisensituationen zu lösen.
Welchen Unterschied sehen Sie beim Thema „Unternehmens­
entwicklung“, wenn Sie Ihren Beratungsansatz mit dem einer
„klassischen“ Unternehmensberatung vergleichen?
Bauer:
Ich würde das gerne an einem Beispiel erläutern. Für
klassische Berater ist es lukrativ, in einem Unternehmen das
Instrument des Management-Dashboards einzuführen. Dabei
werden in den verschiedensten Bereichen langfristige Ziele
festgelegt, deren Erreichen anschließend mittels Key Perfor-
mance Indicators halbjährlich oder jährlich gemessen wird.
Ein Berater, der in unterschiedlichsten Branchen über 50 Dash­
boards eingeführt hat, sagte mir einmal im Vertrauen, dass kein
einziges Dashboard jemals die erhoffte Wirkung gezeigt habe.
Meiner Einschätzung nach liegt dies vor allem an zwei Grün-
den. Zwar ist es sinnvoll, sich Ziele zu setzen, aber viele Ziele
wie „Kompetenzen verbessern“ lassen sich in den seltensten
Fällen numerisch messen. Da wäre es sinnvoller, auf die Kraft
des Managements zu vertrauen, dass es durch Be­obachten he-
rausfinden kann, ob sich die Mitarbeiter in Richtung der Ziele
bewegen oder nicht.
Der zweite Grund für die häufige Wirkungslosigkeit von Dash-
boards liegt darin, dass sich alle nur noch auf die einmal ver-
abschiedeten Ziele konzentrieren. Je mehr ich nur an Daten,
Zahlen, Fakten orientiert bin, desto mehr laufe ich Gefahr, die
Anpassung meiner Organisation an die sich verändernde Um-
welt zu vergessen. Irgendwann läuft man nur noch den Zahlen
hinterher. Systemische Berater schauen lieber auf die innere
Logik einer Organisation. Sie versuchen zu verstehen, welche
Probleme und Interessenlagen es gibt und was zu den Verhal-
tens- und Entscheidungsmustern geführt hat, die die Organisa-
tion zeigt. Wenn man als Berater auf diese innere Logik offen
hinweisen kann, dann verändert sich schon allein dadurch
etwas im Unternehmen und oft erlaubt dieser neue Blick der
Organisation eine nachhaltigere Anpassung an die Verände-
rungen im Markt.
Interview: Martin Pichler
Peter Bauer.
Der 53-Jährige gilt als
der „Retter von Infineon“ (FAZ), der
dem Massenchip-Hersteller zu einer
zukunftsträchtigen Unternehmens-
strategie als Halbleiterspezialist für
ausgesuchte Branchen verholfen
hat. Bauer ist auch designierter
Aufsichtsratsvorsitzender der Osram
AG und Aufsichtsratsmitglied bei der
Kontron AG.