Seite 16 - wirtschaft_und_weiterbildung_2014_07-08

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16
wirtschaft + weiterbildung
07/08_2014
Genetiker rät zu
mehr Individualität
im Business
TTS FORUM.
Markus Hengstschläger, Professor für
Medizinische Genetik in Wien, forderte auf dem
„Knowledge Transfer Forum 2014“ ein individu-
elleres Talentmanagement. Nur eine Vielfalt von
Managerpersönlichkeiten stelle sicher, dass eine Antwort
auf die kommenden Krisen gefunden werden könne.
Ein Vorstandsgremium oder am besten gleich die ganze Füh-
rungsebene eines Unternehmens sollte aus möglichst unter-
schiedlichen Persönlichkeiten bestehen, rät der Wiener Gen-
forscher Professor Markus Hengstschläger. Wenn plötzlich eine
Krise käme mit noch nie da gewesenen Herausforderungen,
dann könne man aufgrund der personellen Vielfalt einigerma-
ßen sicher sein, dass wenigstens ein Mensch die passende Ant-
wort auf das Unerwartete habe.
Bereits im Verlauf der Evolution habe sich gezeigt, dass die
„Produktion“ möglichst verschiedener Nachkommen das Über-
leben einer ganzen Spezies sichern könne. Das habe zwar auch
in so manche Sackgasse geführt. Die müsse man aber in Kauf
nehmen, denn die Gefahr, dass keiner eine Antwort habe und
alle ausstürben, sei einfach zu groß. „Wenn man die Zukunft
nicht kennt – und wir haben sie noch nie so wenig gekannt wie
heute –, dann muss man individuell aufgestellt sein“, lautet
die Schlussfolgerung. „Ein System, in dem alle Teile möglichst
nahe an einem gemeinsamen Durchschnitt liegen, ist für die
Zukunft nicht gerüstet. Es braucht Varianz!“
Wir sitzen in der „Durchschnittsfalle“ und
suchen den Alleskönner
Möglichst viele möglichst verschiedene Individuen im System
zu haben, ist laut Hengstschläger die mächtigste Waffe auf
dem Weg in die Zukunft. Der Professor, für den Individualität
„das höchste Gut“ darstellt, hadert zwangsläufig mit dem ös-
terreichischen und deutschen Schulsystem. Das individuelle
Talent des Einzelnen, das unbedingt gefördert werden muss,
ist schließlich die Basis für jede Art von Individualität. „Be-
sonders in der Schule werden Talente verschleudert“, klagt
Hengstschläger. Die Schüler würden dazu getrieben, dort am
meisten zu lernen, wo sie die schlechtesten Noten hätten, nur
um sich wieder in den Durchschnitt einzureihen. Damit ver-
geudeten sie aber jene Zeit, die sie eigentlich mit dem Ausbau
ihrer Stärken verbringen müssten.
„Wir sitzen in der Durchschnittsfalle“, behauptet der Geneti-
ker. Der durchschnittliche Alleskönner sei oberste Maxime un-
serer Leistungsgesellschaft. Weg vom Durchschnitt heißt nicht,
dass Hengstschläger für eine Eliteförderung plädieren würde.
„Es wäre fatal zu sagen, wir kümmern uns nur um die Elite,
weil man ja nicht weiß, was die Elite von morgen ist, wenn
man die Fragen von morgen nicht kennt.“ Immerhin ist es un-
strittig, dass es bei jedem Menschen individuelle genetische
Leistungsvoraussetzungen gibt. Ein Talent wird daraus aber
nur, wenn man die besonderen Fähigkeiten und Neigungen,
die man hat, intensiv trainiert. „Nur üben, üben, üben“ bringt
den Erfolg und am Erfolg könne man das Talent messen. So-
wohl die Gene als auch das Üben müsse zusammenkommen.
Es sei aus der Sicht eines Genetikers falsch zu sagen: „Ein
Fotos: Marc Fippel Fotografie
Markus Hengstschläger.
Seit 2005 leitet er das
Institut für Medizinische Genetik an der Wiener
Med-Universität. Berühmt wurde er durch die
Entdeckung von Stammzellen im Fruchtwasser
und die Erforschung von Erbkrankheiten. Er sorgt
immer wieder mit populärwissenschaftlichen Vor-
trägen und Publikationen für Aufsehen.