messen und kongresse
            
            
              54
            
            
              wirtschaft + weiterbildung
            
            
              10_2014
            
            
              streuen. Es hat sich auch als fantastischer
            
            
              Motor erwiesen, um neue Perspektiven in
            
            
              Organisationen zu bringen. Aber wir soll-
            
            
              ten uns erinnern, dass Social Media nur
            
            
              ein Tool ist. Es arbeitet nur so gut, wie
            
            
              wir damit umgehen.
            
            
              Deshalb reicht es nicht, wenn ein Un-
            
            
              ternehmen einfach einen Twitter-Feed
            
            
              eröffnet oder darauf besteht, dass die
            
            
              Mitarbeiter Social Media nutzen. Zu oft
            
            
              sehe ich, wie Leute immer das gleiche
            
            
              Zeug teilen und die immer gleichen Posts
            
            
              aus der gleichen Quelle immer wieder
            
            
              retweeten – ohne auch nur ansatzweise
            
            
              über einen tieferen oder produktiveren
            
            
              Sinn nachzudenken. Social Media galt
            
            
              lange als Werkzeug, um Wissen zu de-
            
            
              mokratisieren und zu befreien. Nun wird
            
            
              es immer mehr zu einem herkömmlichen
            
            
              Medien-Kanal.
            
            
              Unternehmen müssen solide Arbeit ma-
            
            
              chen, um Kommunikation in der Orga-
            
            
              nisation zu erweitern, und dürfen nicht
            
            
              nur sagen: „Lass doch einfach mal einen
            
            
              Praktikanten dieses Social-Media-Ding
            
            
              machen.“
            
            
              Zunehmend denken Unternehmen in
            
            
              Deutschland darüber nach, wie sie ihre
            
            
              Führungsstrukturen demokratisieren
            
            
              können. Wie beeinflusst das die
            
            
              Kreativitätsprozesse?
            
            
              Rehn:
            
            
              Das stimmt, Demokratisierung
            
            
              in Unternehmen ist ein Megatrend. Es
            
            
              sind eine Reihe von interessanten Orga-
            
            
              nisationsformen aufgekommen, die das
            
            
              wirklich radikal umsetzen, zum Beispiel
            
            
              nach dem Konzept der „Holarchy“, in
            
            
              dem Autorität und Entscheidungsfindung
            
            
              über selbstorganisierte Teams verteilt ist,
            
            
              anstatt sie an der Spitze der Hierarchie
            
            
              anzusiedeln.
            
            
              Wir müssen unsere Beschäftigten befä-
            
            
              higen, ihre eigenen Entscheidungen zu
            
            
              treffen und mit ihren Ideen zu experi-
            
            
              mentieren – und die meisten, wenn nicht
            
            
              gar alle wirklich innovativen Unterneh-
            
            
              men haben das in irgendeiner Form in
            
            
              ihre DNA integriert. Gleichzeitig sollte
            
            
              uns bewusst sein, dass sogar eine perfekt
            
            
              demokratisierte Organisation jemanden
            
            
              braucht, der Entscheidungen trifft und
            
            
              am Ende sagt: „Das machen wir jetzt und
            
            
              so wird es gemacht.“ Wir brauchen bei-
            
            
              des: Demokratie und Führung – nicht das
            
            
              eine ohne das andere.
            
            
              In einem Ihrer Vorträge haben Sie
            
            
              gesagt, dass provokatives Denken
            
            
              produktive Reibung und damit Kreativität
            
            
              erzeugt. Brauchen wir provokativere
            
            
              Führungskräfte?
            
            
              Rehn:
            
            
              Absolut. Das Problem in Unter-
            
            
              nehmen ist oft: Wir sind so gute Freunde
            
            
              geworden und so wohlerzogen. In einem
            
            
              „normalen“ Unternehmen sind die Kolle-
            
            
              gen so nett zueinander. Ich meine damit
            
            
              nicht, dass sich jeder mag. Aber wir
            
            
              sind einfach ganz brav und wir schlagen
            
            
              nichts vor, was irgendjemand verärgern
            
            
              oder von dem sich jemand angegriffen
            
            
              fühlen könnte. So bringen wir eine Orga-
            
            
              nisation nicht voran.
            
            
              Wir brauchen Führungskräfte und Mit-
            
            
              arbeiter, die ihre Gedanken frei von der
            
            
              Leber weg aussprechen, auch wenn sie
            
            
              wissen, das könnte jemand im Unterneh-
            
            
              men abstoßend finden. Das gilt auch für
            
            
              Teammitglieder. Wir brauchen cross-kul-
            
            
              turelle Teams mit Mitgliedern verschie-
            
            
              denen Alters. Wenn wir Menschen mit
            
            
              verschiedenen kulturellen Backgrounds
            
            
              sowie verschiedenen Ansichten und Per-
            
            
              spektiven zusammenbringen, fordern sie
            
            
              sich gegenseitig heraus. Das ist diese pro-
            
            
              duktive Reibung, von der ich manchmal
            
            
              spreche. Nur mit dieser Art Erschütterung
            
            
              stellen wir sicher, dass wir alle Möglich-
            
            
              keiten ausprobiert haben und uns nicht
            
            
              ständig mit dem bestätigen, was wir
            
            
              schon wissen und wie wir schon immer
            
            
              gearbeitet haben. Nur so entsteht Verän-
            
            
              derung.
            
            
              Manche Unternehmen versuchen es mit
            
            
              Kreativitätstraining. Inwieweit empfehlen
            
            
              Sie eine solche Investition?
            
            
              Rehn:
            
            
              Kreativitätstraining ist sehr schwie-
            
            
              rig. Ich kenne Leute in diesem Umfeld,
            
            
              die absolute Superstars sind und wirk-
            
            
              lich das Mindset eines Unternehmens
            
            
              verändern können. Ich habe aber auch
            
            
              Trainingsprogramme gesehen, die un-
            
            
              glaublich schlecht sind. Wenn ein Un-
            
            
              ternehmen sich dafür entscheidet, sollte
            
            
              es sich nicht einfach einen Aspekt aus
            
            
              einem umfassenden Katalog herauspi-
            
            
              cken und glauben, dass das ausreicht.
            
            
              Wer diese Dienstleistung einkauft, muss
            
            
              sich dem Thema vorher intensiv widmen,
            
            
              Angebote vergleichen, Forderungen stel-
            
            
              len und mit den Anbietern diskutieren.
            
            
              Denn es sind die schlechten Programme,
            
            
              die einfach von der Stange kommen. Die
            
            
              guten versuchen, ein spezielles Training
            
            
              für die Probleme des Unternehmens auf-
            
            
              zustellen.
            
            
              Im Trainingssektor gibt es immer mehr
            
            
              Angebote für Entspannung, Selbstrefle-
            
            
              xion und Burn-out-Prävention. Welchen
            
            
              Einfluss können solche Methoden auf die
            
            
              Kreativität der Mitarbeiter haben?
            
            
              Rehn:
            
            
              In der Kreativitätsliteratur sind
            
            
              sich da alle einig: Eine Pause machen,
            
            
              das Problem ruhen lassen und neue He-
            
            
              rausforderungen suchen – das sind alles
            
            
              erfolgskritische Faktoren für Kreativität.
            
            
              Folglich kann es als Teil in einem größe-
            
            
              ren Mix durchaus eine praktikable Tech-
            
            
              nik sein. Manchmal brauchen wir Ruhe,
            
            
              Zeit und Raum, um über einem Problem
            
            
              zu brüten.
            
            
              Aber genauso gut kann eine stressige
            
            
              Situation helfen. Meistens sind die Mit-
            
            
              arbeiter in Unternehmen jedoch ständig
            
            
              überarbeitet und dann kommt der Chef
            
            
              und sagt so nebenbei, dass sie auch noch
            
            
              kreativ und innovativ sein sollen. Das
            
            
              erzeugt Innovationserschöpfung: Dann
            
            
              haben wir die Innovation wirklich satt.
            
            
              Das ist ein echtes Problem in modernen
            
            
              Unternehmen: Innovationsstress.
            
            
              In Deutschland betrachten wir Unterneh-
            
            
              men aus Skandinavien oft als Pioniere –
            
            
              zum Beispiel bei der Unternehmens- und
            
            
              Führungskultur. Entspricht das der
            
            
              Realität oder ist das nur ein Zerrbild?
            
            
              Rehn:
            
            
              Na ja, ich kenne viele traditionelle,
            
            
              rückständige und langweilige Organisa-
            
            
              tionen in Skandinavien. Also sollten wir
            
            
              uns nicht zu sehr in dem Klischee ver-
            
            
              fangen, dass Betriebe in Nordeuropa so
            
            
              wahnsinnig anders sind als an anderen
            
            
              Orten der Welt. Aber die flachen Hierar-
            
            
              chien, die Art der Kommunikation und
            
            
              die Nähe zu den Managern sind alles
            
            
              Dinge, die skandinavische Organisationen
            
            
              ein kleines bisschen flexibler handhaben,
            
            
              mit einer etwas schnelleren Reaktionsfä-
            
            
              higkeit. Was man von Unternehmen aus
            
            
              Skandinavien lernen kann, ist, dass Erfolg
            
            
              kein Hexenwerk ist, dass es kein magi-
            
            
              sches Rollenmodell gibt, das alle kopieren
            
            
              können, und dass kleine Schritte in die
            
            
              richtige Richtung ausreichen können, um
            
            
              am globalen Markt zu bestehen.
            
            
              Interview: Stefanie Hornung
            
            
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