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10_2014
wirtschaft + weiterbildung
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Brigitte Seibold,
Trainerin und
„Visual Facilitator“, reduziert
die komplexen Körperformen
von Menschen auf Kopf und
Korpus. Pfeile weisen auf
den Diskussionsverlauf oder
auf bestimmte Schlussfolge-
rungen hin.
tümliche Vertrautheit damit. Visualisierer
knüpfen einfach an diese Fähigkeiten an.
Wir denken in Bildern. Unser Gehirn pro-
duziert sie, ohne dass wir das bewusst
kontrollieren können. Visuell wahrneh-
men und Wahrnehmungen verarbeiten
– das übt und entwickelt unser Gehirn
evolutionsgeschichtlich schon seit Mil-
lionen von Jahren. Der Teil des Gehirns
dagegen, der Sprache verarbeiten kann,
ist schätzungsweise erst seit 100.000 bis
150.000 Jahren aktiv. Die Hirnforschung
kann bestätigen: Bilder werden schneller
und direkter erfasst und verarbeitet als
Sprache.
Fallbeispiel Chemiefabrik:
Zusammenarbeit optimieren
Immer öfter unterstützen „Visual Facilita-
tors“, visuelle Moderatoren, die Kommu-
nikation in den Unternehmen mit ihrer
modernen Bildsprache. Zum Beispiel bei
der Optimierung der Zusammenarbeit
verschiedener Abteilungen. Ein großer
Chemiekonzern beschäftigt über 1.000
Mitarbeiter, die in Produktionsstätten und
Laboren nicht nur in Europa, sondern
auch in Asien, Nord- sowie Südamerika
arbeiten. Aufgrund der Vielfalt der her-
gestellten Erzeugnisse ist der Prozess bei
der Einführung neuer Produkte und Roh-
stoffe langwierig und vielschichtig. Eine
echte Herausforderung, Kooperation,
Abläufe und Kommunikation effektiv zu
gestalten!
Ein neuer Rohstoff beispielsweise muss
vor seiner Verwendung zahlreiche Prüf-
verfahren durchlaufen. Erst wenn der
Stoff ausreichend getestet und zugelassen
wurde, wird er für die Produktion freige-
geben. Involviert sind hierbei unter ande-
rem der Einkauf, die Logistik, die Buch-
haltung, das Qualitätsmanagement, die
Rechtsabteilung.
Die Mitarbeiter in den verschiedenen
Fachabteilungen müssen nicht nur ihr
Aufgabengebiet bearbeiten, sondern auch
gleichzeitig darüber informiert sein, was
die Kollegen machen und warum sie es
tun. Zahlreiche Schnittstellen, eine hohe
Spezialisierung, lange Bearbeitungszeiten
und nicht zuletzt ein ausgeprägtes Res-
sortdenken waren in der Vergangenheit
Grund für Missverständnisse, Konflikte
und Frustration. In solchen Fällen bietet
Visualisierung eine wirkungsvolle Un-
terstützung, um Komplexität zu bewälti-
gen. Wenn der Verstand an eine Grenze
kommt, sich Zusammenhänge vorzustel-
len und Detailaspekte zu merken, ist es
hilfreich, das Wesentliche eines Themas
auf Papier sichtbar zu machen. Dazu
können Zeichen, Symbole, Formen, Pfeile
und natürlich auch Begriffe genutzt wer-
den. So entsteht eine Landkarte, die Über-
blick und Orientierung bietet und eine
Basis für die gemeinsame Verständigung
und Weiterentwicklung schafft. Die Visu-
alisierung ermöglicht dabei sowohl den
Blick auf den Gesamtzusammenhang als
auch den Fokus auf die Teilaspekte. Der
Verstand kann zwischen den verschiede-
nen Ebenen hin und her springen, ohne
den Überblick zu verlieren. Nützlich
ist das vor allem in Gruppendiskussio-
nen, um ein strukturiertes Vorgehen zu
erleichtern. Der „Visual Facilitator“ ist
dabei nicht nur Zeichner, sondern fun-
giert auch als Moderator.
Verständnis für den
Ist-Zustand
Im genannten Beispiel werden alle Ak-
teure aus den unterschiedlichen Abtei-
lungen, die an diesem anspruchsvollen
Produktentwicklungsprozess beteiligt
sind, zu einemWorkshop eingeladen. Ge-
meinsam und vor den Augen aller wird
ein Bild des aktuellen Prozessablaufs ent-
wickelt. Im Dialog mit der Gruppe wer-
den die einzelnen Schritte gezeichnet:
• Wer ist verantwortlich?
• Wie funktionieren derzeit Schnittstel-
len und Übergaben?
• Wer behält den Überblick und die Kon-
trolle?
Unklarheiten werden unmittelbar deut-
Foto: Prozessbilder