10_2014
wirtschaft + weiterbildung
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professionellen Turnieren die Wertungen
nahe beieinander – weil es eben fest-
gelegte Kriterien gibt. Bevor ein Vorge-
setzter anfängt zu kritisieren, sollten er
und die Organisation, in der er arbeitet,
Kriterien für eine Leistungsbeurteilung
festgelegt haben. Würde ein Chef diese
Kriterien in bestimmten Fällen über Bord
werfen und zu einer reinen Sympathiebe-
wertung übergehen, dann würde er der
gesamten Unternehmenskultur und der
Glaubwürdigkeit des Führungssystems
schaden. Llambi: „Nur durch die Orien-
tierung an professionellen, transparenten
Kriterien wird Kritik zu einem seriösen
Führungsinstrument.“
4 Leistung mit einem fairen
Maßstab beurteilen.
„Kritik findet nicht im luftleeren Raum
statt“, ergänzt Llambi. Es gibt nicht nur
ewig gültige Kriterien für die Qualität. Es
gibt auch Maßstäbe – und die ändern sich
im Laufe der Jahre. Ein Europameister,
der vor 30 Jahren gekürt wurde, wäre
heute mit dem Tanzstil von damals chan-
cenlos auf dem Parkett. Heute tanzen die
Profis einfach anders – dynamischer und
akrobatischer. Die Kriterien der Tanz-
richter sind dieselben geblieben, aber
ihr Maßstab hat sich geändert. Llambi:
„Wie jede Sportart ist das Niveau auch im
Tanzsport kontinuierlich gestiegen. Ge-
messen an den heutigen Spitzentänzern
waren die Turniere in den Achtzigern
gemütliche Teekränzchen.“ Ein anderes
Beispiel: Wenn ein Ehemann für seine
Frau das beste Menü kocht, das er je
hinbekommen hat, verdient er quasi die
„Bestnote“. Es wäre ausgesprochen un-
fair, wenn seine Frau an das Menü den
Maßstab anlegen würde, der für einen
international ausgebildeten Sternekoch
gilt. Ein guter Kritiker kennt laut Llambi
nicht nur die Kriterien, sondern auch
den Maßstab, mit dem gemessen werden
sollte. Er ist also in der Lage, die Leistung
ins rechte Verhältnis zu setzen. Für ehr-
liche Kritik ist beides ausschlaggebend:
transparente Kriterien und ein gerechter
Maßstab. „Ich kann Promis an densel-
ben Kriterien wie die Profis messen, aber
nicht denselben Maßstab ansetzen“, fasst
Llambi zusammen. „Ehrliche Kritik setzt
die individuelle Leistung zu einem fairen
Maßstab ins Verhältnis.“
5 Gute Kritik enthält motivie-
rende Komponenten.
Das Gegenteil von einer gelungenen
Kritik ist laut Llambi der Verriss. Kritik
dient dazu, den Kritisierten zu fördern.
Der Verriss will ihn demotivieren und
zur Aufgabe zwingen. Ein Beispiel: Ein
Verkaufsleiter erkennt, dass die Verkaufs-
künste eines Außendienstmitarbeiters
noch ausbaufähig sind. Ihn zu kritisieren
hat den Zweck, seine Leistung zu stei-
gern. Der Let‘s-Dance-Juror empfiehlt,
dem Verkaufsleiter, Folgendes zu sagen:
„Ich glaube, dass bei Ihrer Abschluss-
quote noch Luft nach oben ist. … Die
Kollegen Müller und Schmidt haben bei
vergleichbar vielen Kundenkontakten pro
Monat im Schnitt eine 30 Prozent höhere
Abschlussquote.“ Wer als Kritiker etwas
erreichen will, sollte seiner Kritik also
immer eine motivierende Komponente
beimischen. Auch das Lob („Ich glaube,
dass bei Ihrer Abschlussquote noch Luft
nach oben ist“) gehört zur Kritik dazu,
wenn es ehrlich gemeint ist. Wirkungslos
ist, Vorschusslorbeeren zu verteilen oder
unbegründetes Lob zu spenden, das jeder
Verhältnismäßigkeit spottet.
6 Gute Kritik enthält kon-
struktive Lösungsansätze.
Der eben erwähnte Außendienstmitarbei-
ter hat bis jetzt nur verstanden, dass sich
etwas tun muss. Eine Idee, was er tun
muss, hat er noch nicht. „Ihren Job als
Kritiker haben Sie erst richtig gemacht,
wenn Ihr Mitarbeiter eine Anregung aus
dem Gespräch mitnimmt, wie er sich
verbessern könnte“, betont Llambi. Ein
Kritiker, der sein Gegenüber fördern will,
muss auch bereit sein, mit ihm Ursachen-
forschung zu betreiben und Lösungen
kontrovers zu diskutieren. Vielleicht traut
der Mitarbeiter sich nicht, hartnäckig An-
gebote nachzufassen (Coaching empfeh-
len?). Oder es mangelt generell an rhe-
torischen Fähigkeiten (Training buchen?).
Oder der Verkäufer ist vom Produkt nicht
überzeugt und würde lieber in die Pro-
duktentwicklung wechseln (Personalab-
teilung einschalten?). „Je konkreter die
Kritik und die Verbesserungsvorschläge,
desto größer die Chance, dass der Kriti-
sierte bessere Leistungen zeigt“, ist sich
Llambi sicher. „Konstruktive Kritik be
inhaltet konkrete Lösungsansätze.“
Llambi wurde bei „Let‘s Dance“ dadurch
berühmt, dass er aussprach, wie etwas
besser geht. Mit Nachdruck pocht er in
seinem Buch und bei seinen Vorträgen
darauf, dass Kritiker kompetent sein
sollten. „Nur ein Experte kann objektiv,
fair und konstruktiv kritisieren“, sagt
Llambi. „Denn nur ein Experte hat das
Wissen und die Erfahrung, die dafür not-
wendig sind.“ Fachliche Kompetenz bilde
die Voraussetzung, um Kritik gezielt als
Führungskompetenz einzusetzen. „Ein
guter Chef sagt Ihnen nicht nur, dass Sie
auf dem Holzweg sind. Er zeigt Ihnen
auch, welchen Weg Sie stattdessen ein-
schlagen können.“
7 So deutlich aber auch so
wohlwollend wie möglich.
Obwohl die gleichen Kriterien und der
gleiche Maßstab für alle gelten, wird ein
Kritiker nicht alle seine Mitarbeiter gleich
behandeln. Für Llambi liegt es in der
Natur der Sache, dass ein Vorgesetzter
die Mitarbeiter mit Potenzial intensiver
beobachtet und durch eine aufbauende,
wohlwollende Kritik mehr fördert als
zum Beispiel die Leistungsverweigerer,
die es in jedem Team auch gibt. „Wer
sich mehr steigert als andere, verdient
auch ein dickeres Lob und eine aufbau-
ende Kritik“, so der Chef-Juror. „Deshalb
muss man die, die nur konstante Leistung
bringen, ja nicht gleich abwatschen.“
Es gilt: „Ein ehrlicher Kritiker formuliert
R
Buchtipp.
Joachim Llambi: „Das wollte ich
Ihnen schon immer mal sagen“, Econ-Ver-
lag, Berlin 2014, 251 Seiten, 16,99 Euro