menschen
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wirtschaft + weiterbildung
10_2014
lerbesten Witze, indem man sich über sich selber lustig macht
und Selbstironie demonstriert, wenn man erzählt, was alles
schiefgelaufen ist. Es gibt kaum ein Gebiet im Leben, in dem
man aus dem Misslingen nicht eine Pointe gewinnen kann.
Oft vergessen wir darüber die Bedingungen und Gründe die-
ses Scheiterns und fragen uns nicht, worin wir unser eigenes
Scheitern verschulden oder verursachen. Diese Analyse ist
wichtig.
Daniel Goeudevert, ehemals VW- und Ford-Manager, wollte
nach seinem Ausscheiden aus der Wirtschaft einen Lehrstuhl
aufmachen, der Managern erklärt, auf welche Weise das Schei-
tern in ihr Leben kommt und was passiert, wenn man geschei-
tert ist. Wie ändert sich die Tonlage der Kollegen, wie viel Kom-
petenz habe ich noch, wenn man mir alles das wegnimmt,
was mit meinem Status zusammenhängt? Er sagte damals, ich
wusste nicht mal, wie viel Porto man auf einen Brief drauf-
kleben muss. Diese Lebensuntauglichkeit, die der Misserfolg
einem klarmacht, kann man frühzeitig verhindern. Goeudevert
hat das so gelöst, dass er immer einen Tag im Monat am Fließ-
band stand und sich in die normalen Arbeitsabläufe begeben
hat.
Wann sind Sie denn einmal gescheitert?
Willemsen:
Ich bin vielfach gescheitert, und zwar früh. Auf
der einen Seite nehme ich den Tod meines Vaters als Scheitern
wahr. Das ist zwar irrational, aber es ist so. Auch deshalb, weil
ich ein sehr schlechter Schüler war, als mein Vater starb und
mir das nie verziehen habe, dass mein Vater in einer Situation
gestorben ist, in der ich sitzen geblieben bin und wirkte wie
ein wirklicher Fehlgriff. Er war überzeugt, ich lande an der
Tankstelle – und ich war es auch. Die zweijährige Sterbenszeit
und die ganzen Umstände, das waren äußere Faktoren, die
dazu führten, dass vieles, woran ich reifte, zu der Zeit nicht
gerade in der Schule stattfand.
Für eine Analyse des Scheiterns sind also zunächst die
Umstände von außen wichtig. Aber Scheitern kann ja auch von
innen kommen.
Willemsen:
Ja, das ist völlig richtig. Ich habe das Sitzenbleiben
in der Schule immer zu einem großen Teil auf mich selber
bezogen. Ich bin zweimal hängen geblieben in der Schule. In
dem Jahr, als mein Vater starb, blieben auch meine beiden
Geschwister sitzen – das kann man dann auch mit den Um-
ständen erklären. Beim ersten Mal war es aber einfach Faul-
heit, Dummheit, Enthusiasmus für alles andere außer für den
Schulunterricht. Und insofern muss man sich das schon selber
anrechnen. Als ich dann als groß gewachsener Konfirmand
zwischen lauter jüngeren Mädchen saß, fühlte sich das regel-
recht wie ein Versagen an – das war nicht besonders sexy.
In Ihrem Buch „Der Knacks“ unterscheiden Sie verschiedene
Formen des Scheiterns – zum einen die Lebensbrüche und
zum anderen den Knacks. Was macht diesen Unterschied aus?
Willemsen:
Ich kann es an zwei Symbolen klarmachen. Das
eine wäre die Narbe: ein Scheitern, bei dem ich mich immer
an den Tag erinnere – zum Beispiel an den Tag, an dem ich
das Zeugnis bekam mit dem Hinweis, Roger Willemsen wird
nicht versetzt. Zu diesem Zeitpunkt erfahre ich von meinem
Scheitern oder ich kriege das Dokument dafür. Das wird mir
wehtun und das ist über diese Narbe immer erinnerbar. Das
andere wäre die Falte, die sich irgendwann in die Haut ein-
prägt, die irgendetwas verrät, die eine Form von Ermüdung,
Bitterkeit oder Enttäuschung haben kann. Sie vertieft sich ganz
leise, sie ist an einem Tag nicht da gewesen, aber sie wird
immer markanter und prägender und zeichnet irgendwann das
Gesicht. Sie hat eine Geschichte. Sie ist wie eine Krakelee, wie
die Rissglasur, die manche alten Vasen haben, die sie eigentlich
erst ausmachen. Es ist etwas, was in schleichenden Prozessen
kommt. Und viele der Prozesse, die durch dieses „irgendwann
irgendwo irgendwas“ bestimmt sind, werden von uns nicht
identifiziert. Wir denken eher bürokratisch. Wann bin ich ein-
geschult worden, wann bin ich hängen geblieben, wann habe
ich geheiratet, wann habe ich die ärztliche Diagnose bekom-
men? Wir orientieren uns an diesen Einzeldaten, doch wenn
wir uns erinnern, besteht unser Leben immer aus namenlosen
Prozessen, von denen wir häufig gar nicht wissen, wann haben
sie angefangen und seit wann sind sie abgeschlossen. Das
Essen schmeckt nicht mehr, Küsse sind nicht mehr, wie sie
einmal waren, der Wald wirkt nicht mehr so, wie er früher auf
mich wirkte. Die Vergnügungen sind ausgeschöpft. Wann hat
das eigentlich begonnen? Wenn man sich mit dem Scheitern
beschäftigt, muss man eigentlich immer beide Prozesse beach-
ten: Wie ein Mensch zusammengesetzt wird aus den Einzelsi-
tuationen der Niederlage und aus den großen Prozessen.
Ein typischer Knacks wäre dann sozusagen, wenn Menschen
am Arbeitsplatz ausgebrannt sind und die Freude an der
Arbeit verloren haben.
Willemsen:
Ja, ganz recht. Dann reicht es eben nicht aus zu
sagen, der hat den Zuschlag nicht bekommen, dessen Kollege
„Ich nehme den Tod meines Vaters als
Scheitern wahr. Das ist zwar irrational,
aber es ist so.“
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