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wirtschaft + weiterbildung
10_2014
INTERVIEW.
Der Publizist Roger Willemsen wird in seinem
Keynote-Vortrag auf der Messe „Zukunft Personal 2014“
der Bedeutung des Misslingens für eine geglückte
Biografie nachgehen. Wir sprachen vorab mit ihm
über seine Einsichten zum Wert von Misserfolgen und
Abstürzen im Leben eines Menschen.
Inwiefern ist die Vorstellung von einer Art Masterplan mit
einem klaren beruflichen Ziel noch zeitgemäß?
Roger Willemsen:
In meiner Jugend hat man sich mit etwas
Courage durchgerungen, seiner eigenen Leidenschaft zu fol-
gen und zu sagen: „Komme was da wolle, wenn ich glaube,
Schriftsteller werden zu müssen, dann werde ich mich irgend-
wie auf dem Weg durchsetzen.“ Man war gewissermaßen von
der Notwendigkeit, einen Beruf mit Enthusiasmus ausfüllen
zu können, überzeugt. Dann kommen pragmatischere Zeiten,
in denen wir sehr viele BWL- und Jura-Studenten sehen, die
sich – vor allen Dingen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit
– plötzlich stärker Gedanken über ihr soziales Auskommen
machen. Und heute ist die Idee des akademischen Proletari-
ats, der Selbstausbeutung und der ökonomischen Probleme in
Wissensberufen, so verbreitet, dass junge Menschen nur noch
irgendwo unterkommen wollen. Meine Studenten sagen: „Ich
möchte irgendwie mit Literatur arbeiten dürfen, irgendetwas
im Internet machen oder etwas, das mit Grafik zu tun hat.“
Das Berufsbild ist diffuser geworden.
Früher arbeiteten die Menschen oft ein Leben lang für
einen Arbeitgeber. Heute ist das anders. Wie wandelt sich vor
diesem Hintergrund das Bild von Erfolg im Beruf?
Willemsen:
Lange Zeit hieß Erfolg, dass man sich mit einem
Unternehmen so stark identifiziert, dass man sich gegen Ende
des Lebens einen hohen Respekt erworben hat, gut bezahlt
wurde und sich gewissermaßen als Gesicht der Firma fühlte.
Die Firma war etwas, was einem nützt und dem eigenen Cha-
risma dient. Dann gibt es das Berufsbild dessen, der seinen be-
ruflichen Erfolg eher durch einen sozialen Aufstieg bestimmt.
Und bei einer Generation wie der meinen, bei der eigentlich
alle Kinder reicher geworden sind als ihre Eltern, war die Auf-
stiegsidee fast eine Parallele zum Wirtschaftswunder. Alle
sagten, ohne Haus will ich aber nicht.
Inzwischen werden viele mehr erben als sie selber verdienen.
Gleichzeitig hat sich die Idee des Erfolgs vom rein Materiellen
wegbewegt. Die nicht-scheiternde Familie verzeichnen heute
viele Leute als Erfolg. Das bedeutet eine Hinwendung zur
Erfüllung, zur Vorstellung, dass man mit der eigenen Arbeit
etwas Sinnvolles, sogar Gutes tut. Damit ist der Erfolg stärker
qualifiziert statt quantifiziert.
Wie spielt das Scheitern in den Erfolg mit hinein?
Willemsen:
Wir haben lange Zeit all das verdrängt, was Miss-
erfolg, Scheitern, Lebensbruch angeht und aus dem linearen
Prinzip des Karrierismus ausscherte. Doch es sind die Zeiten
Fotos: Anita Affentranger
Roger Willemsen,
deutscher Publizist und ehe-
maliger Fernsehmoderator,
beschreibt in seinen Essays
zum Beispiel, wie durch die
Erfahrung des Scheiterns in
den Menschen neue Überzeu-
gungen zu reifen beginnen.
„Scheitern schärft
unseren Blick“