Seite 31 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

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01_2013
wirtschaft + weiterbildung
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Ähnliches angeschlossen hat. Wir haben
uns aber gefragt, was wirklich motiviert.
Zu welcher Lösung kamen Sie?
Liu:
Wir haben bewusst auf die mathe-
matische Differenzierung verzichtet,
nach der ein Mitarbeiter einen gewissen
Prozentsatz am Bonus erhält. Das trägt
überhaupt nicht zur Motivation bei,
sondern schafft eine Scheinobjektivität.
Unternehmen mit solch einem System
sind nur damit beschäftigt, diese Mini-
Unterschiede zwischen den Boni der Mit-
arbeiter zu rechtfertigen. Das eigentliche
Ziel, mehr Motivation zu schaffen, wird
völlig aus den Augen verloren. Deswegen
haben wir daraus ein zweiteiliges System
gemacht. Der erste Teil besteht in einem
Unternehmensbonus. Alle Mitarbeiter
werden am Unternehmensgewinn betei-
ligt – ausgenommen sind nur die Mitar-
beiter, die vorsätzlich nicht zum Unter-
nehmenserfolg beitragen.
Das heißt, Sie fokussieren nicht mehr die
Leistung des Einzelnen?
Liu:
Doch! Indem wir einen Vertrauens-
vorschuss geben, schaffen wir die Basis
dafür, dass die Führungskräfte auch un-
angenehme Themen mit ihren Mitarbei-
tern besprechen. Das ist eine Aufforde-
rung und Hilfestellung für die Führungs-
kräfte, um die Leistung der Einzelnen
kritisch zu beobachten und über Defizite
zu reden. Sie senden kein indirektes Si-
gnal über einen geringeren Bonus, son-
dern sprechen Probleme direkt an.
Und wie sieht der zweite Teil des Bonus-
systems aus?
Liu:
Wir arbeiten auch mit einer indivi-
duellen Leistungszahlung. Diese ist aber
nicht an starre Vorgaben gebunden.
Jede Führungskraft bewertet nach ihrer
eigenen Beobachtung und ihrem Urteils-
vermögen und kann die Höhe der Leis-
tungszahlung frei festlegen. Sie trifft die
Entscheidung eigenverantwortlich, muss
sie aber natürlich auch erklären können.
Hier ist wieder das Zusammenspiel aus
Freiraum und Vertrauen entscheidend.
Freiraum für die Führungskräfte im Ur-
teil. Und Vertrauen darauf, dass sie damit
vernünftig umgehen können – ohne
große Vorschriften von HR. Jede Füh-
rungskraft muss sich eine eigene Strategie
dazu entwickeln, wie sie die individuelle
Leistungszahlung vergibt. Sie kann alles
per Gießkanne über das Team verteilen –
wenn sie denkt, dass dies in diesem Mo-
ment richtig ist. Wenn sie nur zwei Team-
mitglieder belohnen will und das fundiert
erklären kann, ist sie frei, das zu tun.
Sie kann auch gar nichts zahlen?
Liu:
Das kann sie auch tun. Aber auch
das muss sie begründen. Nehmen wir
ein Beispiel: In der Krisenzeit war es eine
natürliche Reaktion der Führungskräfte,
dass sie dieses Geld einsparen wollten.
Wir haben dann mit ihnen darüber ge-
sprochen, wann monetäre Anreize nüt-
zen und sie gefragt: Ist es sinnvoller eine
kleine Einsparung einzukassieren, ob-
wohl die Mitarbeiter schon aufgrund der
allgemeinen Wirtschaftslage eine gerin-
gere Gewinnbeteiligung erhalten? Oder
sollte man in schlechteren Zeiten nicht
erst recht genau beobachten, wer eine
wirklich gute Leistung zeigt und dafür
den Bonus einsetzen? Wir haben nicht
vorgeschrieben, wie sie die individuelle
Leistungszahlung einsetzen sollten. Aber
wir lieferten die Argumente.
Durch monetäre Anreize entsteht aber
doch keine dauerhafte Motivation, haben
Sie vorhin ausgeführt…
Liu:
Das ist richtig. Es entsteht aber ein
Glücksgefühl, Dankbarkeit und eine po-
sitive Stimmung. Das haben wir unseren
Führungskräften immer mit auf den Weg
gegeben. Doch das zugrunde liegende
Vertrauen, der Freiraum und die Anerken-
nung motivieren langfristig.
Das Bonussystem war die erste Durch-
bruchstelle für die neue Führungsphiloso-
phie. Was kam danach?
Liu:
Das neue Bonussystem war schon
sehr kulturprägend. Denn man kann die
Führungskräfte rund um die Beratung zu
diesem Instrument sehr gut auf die neuen
Führungsaspekte im Gespräch vorberei-
ten. Nachdem wir mehrere Jahre mit dem
neuen Bonussystem gearbeitet hatten,
sind wir noch stärker in den intensiven
Dialog eingestiegen. Wir wollten aufzei-
gen, wie man den Führungsgedanken,
der dem Bonussystem zugrunde liegt,
auch langfristig umsetzen und auf diese
Weise motivieren kann. Auch hier ver-
Führung
ist für Zhengrong Liu, Personallei­
ter bei Lanxess, eine Frage von Realitäts­
sinn und Demut. Seine Führungsphiloso­
phie beruht auf Freiraum und Vertrauen.
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