Seite 20 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

Basic HTML-Version

titelthema
20
wirtschaft + weiterbildung
01_2013
der Debatte um das Betreuungsgeld von
seinen Gesprächen mit Erzieherinnen
und alleinerziehenden Müttern berich-
tete, wurde er von Teilen des Plenums
mit aufgeregten Protestbekundungen be-
dacht: Er, der wegen seiner Redehonorare
im Fokus der Beobachtung steht, muss
darauf gefasst sein, als basisfremd ver-
höhnt zu werden. Steinbrück wusste mit
der Provokation umzugehen:
„Ja, führen Sie die [Gespräche] nicht?
Empfinden Sie das als etwas Beson-
deres?“
Reaktionen wie diese setzen große Souve-
ränität voraus – und sind nicht für jeden
Redner geeignet. Auch Steinbrück wirkt
in solchen Momenten manchmal fast zu
smart. Kritiker werfen ihm dafür einen
Hang zur Arroganz vor. Für einen Redner
jedoch, der sich bei öffentlichen Redean-
lässen auch einmal direkter Kritik erweh-
ren muss, ist ein dickes Fell gepaart mit
einer spitzen Zunge ein probates Mittel,
sich zu behaupten – solange er dabei Maß
hält. Gerade in kritischen Situationen
wird Steinbrücks Gelassenheit offenkun-
dig: Als Redner lässt er sich nicht unter
Druck setzen und denkt nach, bevor er
antwortet. Präzise Formulierungen gelin-
gen ihm auch in hitzigen Debatten des-
halb, weil er sich Zeit lässt.
Überlegen wirkt überlegen
Mit dieser Gelassenheit macht er auch die
Schönheitsfehler seiner Redekunst wett:
Grammatische und stilistische Fehler sind
in seinen Reden keine Seltenheit. Anstatt
sie jedoch zu korrigieren oder sich wo-
möglich noch dafür zu entschuldigen,
geht er einfach darüber hinweg, weil er
weiß: Die Botschaft kommt trotzdem an.
Warum Peer Steinbrück Nashörner mag,
lassen seine Reden tatsächlich erken-
nen: Er nimmt Maß, bevor er redet – am
Thema, am Opponenten, am Publikum.
Einmal in Fahrt gekommen, entwickelt
er eine gehörige rhetorische Wucht. Ar-
gumentativ ist er nicht so leicht umzu-
hauen. Das alles gelingt ihm aufgrund
seiner souveränen Haltung: Er behält,
stilistisch wie argumentativ, immer Bo-
denkontakt. Das ist die wichtigste Lehre,
die Redner aus dem Beispiel Steinbrück
ziehen können: Zu überlegen, bevor man
spricht, wirkt überlegen.
René Borbonus
r
„Seine arrogante Kompetenz macht ihn attraktiv“
Man kann nur so reden wie man denkt. Und wie denkt
Steinbrück? Es ist die Position der arroganten Kompetenz
bei gleichzeitiger Unterstreichung der tiefen Verachtung
sozialdemokratischer Herkunftsgeschichte. Genau Fol-
gendes macht seine Attraktivität aus:
1.
Eine von allen zugestandene Kompetenz in Sachen Wirt-
schaft. Und Wirtschaft ganz allgemein gehört nun einmal
nicht zu den typischen Kernkompetenzen sozialdemokra-
tischer Politiker.
Analyse.
„Steinbrücks Rhetorik ist ein Lehrstück für den unumstößlichen Lehrsatz: Man
kann nur so reden wie man denkt“, betont Hans-Uwe L. Köhler, Trainer
Keynotespeaker und Autor des Buchs „Die perfekte Rede“ (Gabal 2011), das auch ein Kapitel
über Politikerreden enthält
Hans-Uwe L.
Köhler,
seit
über 30 Jahren
Trainer und Kes-
note-Speaker.
2.
Peer Steinbrück gehört zur ersten Kategorie der Politpro-
minenz. Aus dieser Position heraus schöpft er in seinen
Reden eine unglaubliche Energie, deren zentrale Aussage
darin besteht: Ich bin das Beste, was euch als Politiker
anzubieten ist. Leider Sozialdemokrat, und was für einer,
das werdet ihr gleich hören …
3.
Seine arrogante Grundposition macht ihn zu einem der
attraktivsten Redner überhaupt! Sein Credo: Ich bin keiner
von Euch! Ich bin kein Banker, kein Sparkassen-Onkel, kein
Sozialdemokrat, kein Abgeordneter – ich bin der Peer! Ich
kann mehr! Ich kann auch Kanzler!
Nun wird jede Redneragentur bestätigen, dass sich Unter-
nehmen aller Couleur gerne mit Rednern „schmücken“.
Es wäre ja naiv anzunehmen, dass nur Inhalte oder ver-
bindliche Aussagen gebucht werden! Es wird Attraktivität
gebucht. Deshalb verdiente er auch zu Recht 25.000
Euro bei den Stadtwerken Bochums – auch wenn es die
32 Stadträte der SPD dort vor Neid zerreißt! Sein sozial-
demokratischer Hintergrund macht ihn gleichzeitig für die
Bankenszene so begehrenswert: Es ist die Koketterie mit
dem Unerlaubten. Geld und Sozi, das geht doch gar nicht
– und genau deshalb geht’s.
Hans-Uwe L. Köhler
Foto: Anette Hammer / Freistil