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01_2013
wirtschaft + weiterbildung
19
pisches Muster zutage. Wenn es darauf
ankommt, wählt er deutliche Worte:
„Dieses Betreuungsgeld ist eine grund-
falsche Weichenstellung, um es nicht
deutlicher zu sagen: Es ist schwachsin-
nig.“
Steinbrück könnte man einen partiellen
Klartexter nennen. Er formuliert nicht
immer so bündig und direkt wie im
obigen Beispiel; im Zuge der Argumenta-
tion baut er im Eifer des Gefechts durch-
aus auch Schachtelsätze. Doch wenn er
sichergehen will, dass sein Credo beim
Publikum ankommt, formuliert er sehr
klar, oft sogar zitierfähig.
Wer austeilt, muss auch
einstecken können
Bei einer Rede im Bundestag knöpfte
sich Steinbrück ganz im Vorbeigehen den
FDP-Abgeordneten Patrick Döring vor:
„Der springende Punkt, den Herr Döring
ausnahmsweise richtig erfasst hat […]“
Steinbrück verzog bei dieser Bemerkung
keine Miene, was die schelmische Wir-
kung der Bemerkung noch verstärkte. Mit
dieser spitzbübischen Art der Attacke lädt
ein Politiker Gegenangriffe geradezu ein.
Steinbrück riskiert das bewusst, denn er
ist im Gegensatz zu vielen anderen Red-
nern dafür gewappnet und sucht die of-
fene Auseinandersetzung. Als er im Zuge
r
„Keinerlei Selbstzweifel, keinerlei Reflexionsbedürfnisse“
Er habe mit Peer Steinbrück und anderen Politikern vor
etlichen Jahren einmal eine dreiviertelstündige Rundfunk-
diskussion bestritten, berichtet imon am 1. Oktober 2012
in seinem Blog „systemische Kehrwoche“ (zu erreichen
über die Homepage des Carl Auer Verlags:
de). Er wisse das Thema der Diskussionsrunde nicht mehr,
so Simon, aber er habe noch sehr genau in Erinnerung,
dass er und Steinbrück sich gegenseitig spontan nicht hät-
ten leiden können. „Mein Eindruck von Steinbrück war der
eines von keinerlei Selbstzweifeln oder Reflexionsbedürf-
nis in seiner Selbstsicherheit beeinträchtigten Ordnungs-
amtsbeamten, der frei jeden Humors ist und das Wort
Selbstironie noch nie gehört hat“, lautet das harte Urteil
des Professors.
Menschen ohne Selbstzweifel sind in der Regel
durchsetzungsfähiger
Simon erzählt in seinem Blog, dass er auch persönlichen
Kontakt zu Gerd Schröder gehabt habe, als der noch Anwalt
in Hannover gewesen sei. Im Gegensatz zu Steinbrück sei
ihm Schröder weit reflektierter erschienen. Er sei besser
in der Lage gewesen, sich selbstironisch und selbstkri-
tisch aus der Distanz zu betrachten und dies auch in die
Kommunikation einfließen zu lassen. „Steinbrück scheint
mir bei eitem das schlichtere Gemüt“, schreibt Simon, um
dann aber zu der überraschenden Feststellung zu kom-
men, dass ihn das wahrscheinlich nicht zu einem schlech-
ten Kanzlerkandidaten oder gar Kanzler mache. Denn
Menschen ohne Selbstzweifel seien bekannt dafür, dass
sie das, was sie anpackten auch tatkräftig durchsetzten,
ohne sich allzu viel mit Skrupeln herumzuplagen. Und das
sei für einen Politiker keine schlechte Eigenschaft. Man
Analyse.
Steinbrück habe zwar keine Selbstironie, dafür strahle er aber eine große Menge
Selbstsicherheit aus, schreibt Professor Dr. Fritz B. Simon, Berlin, ein Vertreter der systemischen
Organisationsberatung.
Fritz B. Simon
ist unter ande-
rem Professor
am Institut für
Familienunter-
nehmen der
Universität Wit-
ten/Herdecke.
könne sich darauf verlassen, dass das politische System
so organisiert sei, dass Steinbrück genügend Gegenwind
bekäme und so schädliche Übertreibungen in Grenzen
gehalten würden.
An anderer Stelle seines Blogs wirft Simon dem von ihm
geschätzten US-Präsidenten Obama vor, er habe zu wenig
Kampfgeist und könnte ruhig etwas mehr von Steinbrücks
Aggressivität zeigen. „Obama scheint ein Defizit zu haben,
seine Führungsfunktion wahrzunehmen“, so Simon. Die-
ses Problem sei auch bei Beratern zu beobachten, die
als Manager (auf Zeit) in ein Unternehmen wechselten.
Als Berater sei es nützlich, sich allparteilich oder neutral
gegenüber kontroversen Themen zu zeigen. Aber als Füh-
rungsfigur müsse man dafür sorgen, dass Entscheidungen
getroffen und umgesetzt würden. Man müsse sich letzten
Endes für eine Option und gegen eine andere entscheiden.
Damit werde Steinbrück kein Problem haben.
Martin Pichler
Foto: Pichler