Seite 18 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

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18
wirtschaft + weiterbildung
01_2013
„Es ist besser, Unwissenheit durch
Schweigen vermuten zu lassen, als sie
durch Reden unter Beweis zu stellen.“
Peer Steinbrück liebt diese Spruchweis-
heit, erklärte Heribert Prantl in seiner
Laudatio zur Verleihung des „Cicero-
Rednerpreises 2011“ an Steinbrück. Prantl
sprach auch ausgiebig über Steinbrücks
Lieblingstier, das Nashorn, eine „ge-
mütliche Kampfmaschine“. Ein Tier, das
selbst bei der Attacke noch kontrolliert
vorgeht. Trotz seiner hohen Geschwin-
digkeit und Masse bremst es kurz vor
dem Zusammenprall noch einmal ab und
prüft, auf wen es da eigentlich losrast.
Eine seltene Eigenschaft in der Politik.
Eine vielversprechende bei einem Redner.
Doch wie setzt der Kanzlerkandidat sie
rhetorisch um?
Konversationsstil kommt an
Peer Steinbrück setzt als Redner auf Na-
türlichkeit: In seinen Reden ist ihm Zu-
gänglichkeit wichtiger als Makellosigkeit.
Sein Stil will nicht als eindrucksvoll wahr-
genommen werden, sondern funktionie-
ren. Deshalb wirken seine Reden eher wie
Konversation. Zitate nutzt er themenzen-
triert. So auch bei folgendem Zitat von
Ferdinand Lasalle zu Beginn seiner Rede
im Bundestag zum Thema „Finanzhilfen
zugunsten der Hellenischen Republik“
am 27. Februar 2012:
„Alle große politische Aktion besteht im
Aussprechen dessen, was ist, hat Fer-
dinand Lassalle einmal gesagt. Ich frage
deshalb, Frau Bundeskanzlerin: Was ist
denn nun mit den Einlassungen Ihres
Innenministers Friedrich, der vorschlägt,
mit Anreizen dafür Sorge zu tragen,
dass Griechenland aus der Euro-Zone
ausscheidet? Hätte das nicht heute Ge-
genstand Ihrer Regierungserklärung sein
müssen?“
Steinbrück gibt dem Zitat rhetorisch
einen Sinn in Richtung seiner Argumenta-
tion und nimmt dessen Schwung mit, um
eine Brücke zu seiner Aussage zu bauen.
So wird das Zitat zu einem organischen
Bestandteil der Argumentation, wie man
es auch im Gespräch verwenden würde.
Steinbrücks Stil auf dem Podium im Bun-
destag würde genauso funktionieren,
wenn man ihm als Tischnachbar beim
gepflegten Abendessen im Restaurant zu-
hörte. Was sich nach Bequemlichkeit an-
hört, ist ein Erfolgsgeheimnis seiner Rhe-
torik, an dem Redner hart arbeiten müs-
sen: Guter Konversationsstil macht Reden
zugänglicher, unterhaltsamer und effek-
tiver. Das ist besonders wichtig, wenn
man sich an ein breites Publikum wen-
det. Als politischer Redner im Bundestag
muss Steinbrück im Grunde genommen
nicht Abgeordnete erreichen, sondern
sich für die Bevölkerung verständlich
äußern und dabei möglichst zitierfähig
für die Presse formulieren. Steinbrücks
natürlicher Konversationsstil ist die Wahl
des richtigen Mittels in der politischen
Arena – und in fast jeder anderen, bei der
das gesprochene Wort zählt.
Wirkung braucht Struktur
Dass Steinbrücks Reden entspannt klin-
gen, heißt keinesfalls, dass er einfach
drauflos plaudern würde. Den geborenen
Redner gibt es nicht, und auch Steinbrück
ist keiner. Seine Reden wirken trotz ihres
natürlichen Stils professionell und kom-
petent, weil sie einer durchdachten Struk-
tur folgen.
Bei seinem Redebeitrag zum Betreuungs-
geld am 9. November 2012 im Deutschen
Bundestag beispielsweise nutzte Stein-
brück einen klassischen pyramidalen
Aufbau. Konsequent verfolgt sorgt diese
Struktur dafür, dass das Publikum den
Ausführungen gut folgen kann. Zunächst
stellte er zwei Thesen auf:
„Heute soll mit der Einführung des Be-
treuungsgeldes ein Gesetz verabschie-
det werden, für das groteskerweise gilt:
Weder will es ein nennenswerter Teil der
Regierungskoalition, und es gibt auch
keine breite gesellschaftliche Mehrheit in
unserem Land für dieses Gesetz.“
Damit hatte Steinbrück die Basis der Py-
ramide gelegt, die schon auf die Conclu-
sio an deren Spitze hindeutete. Indem er
gleich am Anfang ankündigte, was er mit
seiner Rede zu begründen suchte, machte
er seine Argumentation (das Füllmaterial
der Pyramide) sauber nachvollziehbar:
Das Publikum wusste von Anfang an,
wo er steht, und war eingeladen, ihn an
seinen Argumenten zu messen. Als er
zur Spitze der Pyramide und damit zum
rhetorischen Schluss seiner Argumenta-
tion kam, trat ein für Steinbrück sehr ty-
r
04.
Zuhörer lieben Geschichten.
Storytelling
ist das wichtigste
Handwerkszeug des Redners.
05.
Die zentrale These muss aber
auch durch überzeugende
Fakten
belegt werden.
06.
Die Zuhörer
befinden sich am
Schluss der Rede in einem
Zustand der Hoffnung.
René Borbonus
ist Kommunikati-
onstrainer, Buch-
autor, Coach und
Vortragsredner.
Er hat mehrere Bundestagsabgeord-
nete in Sachen Rhetorik persönlich
gecoacht (Mitglieder der SPD-Frak-
tion waren nicht darunter). Borbonus
ist Gründer und Chef der Communico
GmbH in Ruppach-Goldhausen.
Autor