Seite 14 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

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wirtschaft + weiterbildung
01_2013
„Eine fehlende Selbst­
reflexion ist größte
Schwäche der Chefs“
Interview.
1974 gründete Walter Straub mit seiner Frau
Heide das legendäre ComTeam in Gmund am Tegernsee.
Mit 16 fest angestellten und acht freien Beratern und
Trainern gilt das Unternehmen als bedeutender Experte für
die Entwicklung von Führungskräften und die Begleitung von
Change-Prozessen. Im letzten Jahr leitete Straub (67) zum
letzten Mal ein offenes Seminar. Zeit für einen Rückblick.
Nach seiner Schulzeit in Berlin studierte Walter Straub, Jahr-
gang 1945, in Frankfurt am Main und Darmstadt Maschinen-
bau, Betriebswirtschaft und Psychologie. Er trat in die Abtei-
lung Organisationsplanung der Siemens AG in München ein
und kündigte nach zwei Jahren trotz einer angebotenen Beför-
derung, um im Quickborner Team, der „Keimzelle der Mode-
rationsmethode“ (Straub), eine Beraterausbildung zu machen
und Erfahrungen in der Prozessbegleitung zu sammeln. „Es
war mir schnell klar, dass ich lieber in einem Experimentierfeld
leben wollte als in einem Konzern“, erinnert sich Straub.
In den fast 40 Jahren seines Bestehens hat das ComTeam allein
im offenen Seminarbetrieb über 38.000 Teilnehmer erreicht
und so – nicht zuletzt durch seine Change-Management-Aus-
bildung – die Trainingsbranche geprägt. „wirtschaft + weiter-
bildung“ sprach mit Walter Straub über seinen schrittweisen
Rückzug, Er bleibt als Coach und Berater aktiv.
Viele ehemalige Teilnehmer schreiben Ihnen, die Seminare beim
ComTeam seien ein Wendepunkt in ihrem Leben gewesen ...
Walter Straub:
Ich freue mich natürlich, etwas bewirkt zu
haben – zumal solche Aussagen ganz unaufgefordert von Men-
schen kommen, die ich nach 20 oder 30 Jahren wiedersehe.
Sie sagen, damals hätten sie in meinen Seminaren gelernt, mit
sich und mit Menschen anders umzugehen. Und in der Tat hat-
ten unsere Seminare immer die übergeordnete Botschaft: Man
muss sich nicht verbiegen und man muss andere nicht mani-
pulieren, um erfolgreich zu sein. Viele Seminarteilnehmer sind
so einer Sehnsucht nach Authentizität auf die Spur gekommen,
die sie vorher nicht hätten beschreiben können.
Sie hätten auch ein Guru der Moderationsmethode werden
können. Was hat Sie davon abgehalten?
Straub:
Wir haben unsere Moderatorentrainings auf dem Höhe-
punkt der Nachfrage abgeschafft und eine Prozessberateraus-
bildung ins Leben gerufen, weil wir erkannten, dass es nicht
sinnvoll ist, sich auf Kärtchen und Filzstifte festlegen zu lassen.
Es kam uns darauf an, viele Methoden in eine Ausbildung zu
integrieren, um die Entwicklung von Organisationen optimal
vorantreiben zu können. Heute interessieren wir uns zum Bei-
spiel für die Projektmanagementmethode „Scrum“ oder das
„Design Thinking“. Wir fragen ständig, wie wir uns metho-
disch befruchten lassen können. Das ComTeam hat zum Bei-
spiel im Bereich Training viele neurobiologische Erkenntnisse
in seiner Seminardidaktik umgesetzt, berücksichtigt verschie-
dene Lerntypen und nutzt Erkenntnisse der Motivationsfor-
schung. Dies macht das Lernen intensiv und nachhaltig.
Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Sachen
Führungskräfteentwicklung am deutlichsten verändert?
Straub:
Im Laufe der Jahre mussten alle Maßnahmen in immer
kürzerer Zeit durchgeführt werden. Vor 30 Jahren hatten wir
eine Woche Zeit, um ein Teamentwicklungsseminar abzuhal-
Fotos: Pichler