Seite 54 - wirtschaft_und_weiterbildung_2012_04

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54
wirtschaft + weiterbildung
04_2012
Wie können wir diese Vielfalt von
„Zukünften“ besser unterscheiden?
Mi´ci´c:
Ich verwende dafür das Bild der
fünf Zukunftsbrillen. Die blaue Zukunfts-
brille ist für die Annahmen. Sie richtet
sich auf die wahrscheinliche Zukunft.
Wir können zwar alle ohne Prognosen
leben, aber niemand lebt und führt ohne
Zukunftsannahmen. Bei der roten Zu-
kunftsbrille geht es nicht um das, was
wahrscheinlich sein könnte, sondern um
das, was jederzeit überraschen könnte.
Diesen Blick auf die Zukunft ignorieren
wir gerne, weil er unangenehm ist. Aber
seit wir immer häufiger Überraschungen
erleben, sind die Menschen deutlich sen-
sibler für die rote Zukunftsbrille im Leben
geworden. Dann gibt es noch die grüne
Brille: Es geht dabei um Chancen und
Lebensoptionen, also um die Frage, was
man aus seinem Leben und seinem Un-
ternehmen machen kann. Die grüne Zu-
kunftsbrille erfordert viel Kreativität. Sie
schafft das gedankliche Material für eine
Vision, für Ziele und Strategien. Mit der
gelben Zukunftsbrille geht es um die Ent-
scheidung für eine erstrebenswerte Zu-
kunft. Wir entscheiden uns für eine Insel,
auf der die Sonne am schönsten scheinen
könnte. Zuletzt kommt die violette Zu-
kunftsbrille: Dahinter steckt die Strategie,
also das geplante konkrete Handeln, mit
dem die Vision erreicht werden soll.
Inwiefern können Unternehmen die
Zukunft wirklich managen?
Mi´ci´c:
Wenn wir von „Zukunft managen“
sprechen, assoziieren viele Menschen
damit, dass wir sie in gewisser Weise ma-
nipulieren. Aber das geht natürlich kaum,
denn die Zukunft gibt es nicht wirklich.
Ich kann sie nicht messen, nicht zählen,
nicht wiegen und greifen. Ich kann Zu-
kunft dort finden, wo sie ausschließlich
stattfindet: In den Köpfen von Menschen.
Jeder Mensch, und damit auch alle
Führungskräfte, hat Annahmen, Ängste,
Hoffnungen, Befürchtungen, Ziele und
Visionen im Hinblick auf die Zukunft. Sie
gestalten die Zukunft. Zukunft bereitet
sich in den Köpfen, Herzen und Bäuchen
vor. Es gilt, diese Zukunftsgedanken an-
zureichern, zu ordnen und wirksamer zu
machen. Das ist Zukunftsmanagement.
Aber es gibt doch auch Vorhersagen für
die Zukunft, die nicht von meinen Träu-
men, Zielen und Wünschen abhängen.
Mi´ci´c:
Richtig, das ist der andere Aspekt.
Jeder Mensch muss entscheiden, was aus
der großen Vielfalt von Zukünften für
die eigene Situation relevant ist – in dem
Sinne, dass diese Zukunft das eigene Un-
ternehmen und seinen Markt verändert,
ohne dass Manager etwas daran ändern
können. Und es geht darum, Trends und
Technologien relevant zu machen, um
darin Chancen zu erkennen und zu nut-
zen, die die Wettbewerber noch nicht er-
kannt haben.
Inwiefern sind manche Trends für alle
Branchen unausweichlich, wie etwa die
Entwicklung hin zu einem Arbeitnehmer-
markt aufgrund des demografischen
Wandels?
Mi´ci´c:
Es gibt schon allgemeingültige
Trends, aber die gilt es auf die eigene Si-
tuation hin zu konkretisieren. Prognosen
von Zukunftsforschern sind weit weniger
Sie verstehen sich als Zukunftsmanager.
Was bedeutet das genau?
Dr. Pero Mi´ci´c:
Das Zukunftswissen ist
heute in einem inflationären Maß vor-
handen. Doch dieses Wissen zu verste-
hen, zu interpretieren, darin Chancen zu
erkennen und diese dann in der Praxis zu
nutzen, fällt Unternehmen und einzelnen
Menschen nicht leicht. Zukunftsmanage-
ment baut deshalb Brücken zwischen den
Zukunftsquellen und den Nutzern in der
Praxis.
Sie leisten also eine Art von
Verständnishilfe?
Mi´ci´c:
Richtig. Dabei müssen Sie grob
gesagt die Hälfte der Zukunftsforschung
als Scharlatanerie abziehen. Dennoch
können auch weniger fundierte Zukunfts-
aussagen inspirierend sein. Wir müssen
bei der Zukunftsforschung vor allem un-
terscheiden, ob sie als Aussage über die
wahrscheinliche Zukunft gemeint ist oder
eher als Gestaltungsidee. Dabei schei-
tern Führungskräfte oft an der weiten
Verständnislücke zwischen Zukunftsfor-
schung und Unternehmensführung.
Welche Verständnislücke?
Mi´ci´c:
Die Verständnislücke kann zum
Beispiel darin bestehen, dass wir im All-
tag nicht klar unterscheiden, was eigent-
lich gemeint ist, wenn wir etwas über die
Zukunft hören. Vieles verstehen die Leute
als Prognose, obwohl es als Szenario ge-
meint ist. Oder Menschen halten etwas
für erwünscht, obwohl Zukunftsforscher
nur beschrieben haben, was alles passie-
ren könnte, auch wenn es unwahrschein-
lich ist.
„Was uns den Hals brechen
könnte, ignorieren wir gerne“
PERSONAL NORD & SÜD.
Organisationen sollten endlich langfristiger denken,
fordert Zukunftsforscher Dr. Pero Mi´ci´c. Er wird jeweils auf der „Personal Süd“
(25. April, 11.10 Uhr, Forum 3) und auf der „Personal Nord“ (9. Mai, 11.10 Uhr, Forum
3) eine Keynote halten zum Thema „Die Kurzfrist-Falle: Wie der Mensch sich täglich die
Zukunft versaut … und was Sie im Personalmanagement dagegen tun können“.