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04_2012
wirtschaft + weiterbildung
55
Dr. Pero
Mi´ci´c,
Zukunftsforscher und
Vorstandsvorsitzender der
FutureManagementGroup AG in Eltville
erklärt sein Konzept der „fünf Zukunfts-
brillen“.
wichtig als die Annahmen im konkreten
Fall: Jede Investition, die ein Unterneh-
men tätigt, jede Maschine, die es kauft,
jede Software, die es anschafft, jeder
Mensch, den es einstellt oder entlässt –
all das basiert auf Annahmen über die
Zukunft. Eine junge, kreative Marketing-
firma hat es im Moment noch leicht, den
demografischen Wandel zu verdrängen,
sie wird es aber langfristig nicht können.
Auch sie wird künftig nicht mehr so viele
junge Menschen rekrutieren können und
möglicherweise auch Ältere brauchen,
um die entsprechende Kundschaft zu be-
dienen. Es reicht nicht aus, die Trends zu
kennen und im Groben zu diskutieren. Es
kommt darauf an, die persönlichen An-
nahmen jedes einzelnen Entscheiders zu
verbessern, damit man die kommenden
Veränderungen und die Bedrohungen und
Chancen darin erkennen kann.
Wie realistisch sind die Annahmen,
die Unternehmen in der Praxis für ihre
Zukunft voraussetzen?
Mi´ci´c:
Die Annahmen, auf denen Unter-
nehmen ihr Geschäft gründen, sind meist
nicht ausgesprochen oder aufgeschrie-
ben. Die wahren Annahmen offenbaren
sich dann nur im wirklichen Handeln.
Bei den Bewerberauswahlverfahren etwa
tun heute noch viele Unternehmen so, als
wäre der entsprechende Arbeitsmarkt ein
Anbietermarkt. Das ist er auch teilweise
noch – für sehr attraktive Unternehmen.
Andere wiederum könnten mit ihren un-
bewussten Annahmen, dass der Fachkräf-
temangel sie nicht trifft, auf der Strecke
bleiben. Dabei sind die Trends durchaus
bekannt. Aber sie werden herausgefiltert
durch nicht ausgesprochene Wünsche
und Wahrnehmungsfilter. Sie werden ver-
drängt.
Weil Beschäftigte den Status quo ein-
fach erhalten möchten oder weil Ent-
wicklungen nicht den persönlichen Vor-
stellungen von Managern entsprechen?
Mi´ci´c:
Ja, beides. Ich nenne das die Kurz-
frist-Falle. Wir biegen uns Annahmen zu-
recht, weil das Ich wichtiger ist als das
Wir der Firma. Der Mensch orientiert sich
gern am Materiellen der Gegenwart, an
dem, was er greifen, sehen und erleben
kann. Da die Zukunft unsicher ist, bevor-
zugt er immer das Heutige und hält es für
wahrer und stabiler.
Muss ein gewisser Leidensdruck da sein
oder müssen Krisen und Katastrophen
eintreten, damit wir Zukunftsaussichten
ernst nehmen – so wie etwa das Unglück
von Fukushima?
Mi´ci´c:
Man kann das annähernd übertra-
gen, doch Fukushima ist natürlich ein Ex-
trembeispiel. Es zeigt trotzdem: Was wir
für unwahrscheinlich halten, uns aber
den Hals brechen könnte, das überse-
hen und ignorieren wir gerne. So etwas
können wir feststellen, indem wir unsere
Annahmen aufschreiben und umkehren:
Was passiert, wenn das Gegenteil stattfin-
det? Würde uns das treffen, würde es uns
umbringen oder könnten wir das verkraf-
ten? Zum Beispiel: Was passiert, wenn
Sie als Unternehmen innerhalb von fünf
Wochen 50 Prozent des Umsatzes verlie-
ren? Wie können Sie trotzdem überleben
und die besten Mitarbeiter halten? Vor
der Krise waren die Reaktionen auf diese
Frage immer ablehnend. Mittlerweile den-
ken Manager darüber gründlicher nach.
Wie zeigt sich diese Kurzfrist-Falle im
Personalmanagement?
Mi´ci´c:
Ein Beispiel ist die Internet-Ge-
neration und ihre Art des Umgangs mit
Systemen, Medien und Kommunikation:
Es gibt technisch gesehen eine Divergenz
zwischen dem, was die Beschäftigten pri-
vat an technischen Hilfsmitteln nutzen,
und dem, was sie in den Unternehmen
vorfinden. Menschen, die es gewohnt
sind, mit all der Vielfalt umzugehen, die
immer sehr viel Spannendes und Ab-
wechslung brauchen und auch mehrere
Medien gleichzeitig nutzen, werden einen
statischen, langweiligen Arbeitsplatz auf
die Dauer nicht mehr akzeptieren. Denn
diese Zielgruppe ist viel selbstbewusster
und selbstständiger als Arbeitnehmer das
heute noch in der Mehrheit sind. Im Re-
cruiting und auch bei der Mitarbeiterbin-
dung muss sich das Personalmanagement
darauf einstellen.
Wie können Personalmanager das
angehen?
Mi´ci´c:
Sie könnten sich für entsprechende
Programme stark machen. In manchen
Unternehmen gibt es bereits das Motto
„Bring your own device“: Mitarbeiter ar-
beiten dabei mit ihrem eigenen PC oder
dem eigenen iPad. Sie bekommen für die
Anschaffung von neuen Geräten, die sie
privat nutzen, einen Zuschuss vom Ar-
beitgeber. Das setzt aber viele Dinge vo-
raus – vor allem einen Kulturwandel, den
Personaler mitgestalten könnten.
Interview: Stefanie Hornung
Foto: spring messe