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04_2012
wirtschaft + weiterbildung
39
betrieblichen Gesundheitsmanagements
werden Führungskräfte daher zuneh-
mend an ihre Fürsorgepflicht erinnert und
von ihren Unternehmen angehalten und
geschult, rechtzeitig auf Veränderungen
im Verhalten ihrer Mitarbeiter zu reagie-
ren. Aber wie?
In entsprechenden Workshops zum
Thema werden Gedanken geäußert wie
„Wir haben doch alle mal eine schlechte
Phase“, „Man hat doch auch mal Ärger
zu Hause. Danach zu fragen, ist doch
zu persönlich“, „So eng bin ich mit dem
Mitarbeiter auch nicht immer, ich bin
selbst so viel unterwegs“ und so weiter.
Aus diesen Aussagen ist ersichtlich, dass
die meisten Führungskräfte keinesfalls
aus mangelndem Interesse am Mitarbei-
ter nicht reagieren, sondern aus eigenem
Zeitdruck oder aus Zweifel daran, welche
„Einmischung“ wohl als akzeptabel und
hilfreich angesehen wird. Hier hilft nur
das offene Gesprächsangebot an den Be-
troffenen.
Das R.E.S.P.E.K.T.-Prinzip
Eine reflektierte innere Haltung unter-
stützt die Führungskraft bei solchen Ge-
sprächen. Hier gilt es, mehrdimensional
zu denken. Die Fürsorgepflicht der Füh-
rungskraft besteht schließlich nicht nur
bezogen auf den einzelnen Betroffenen,
sondern auch hinsichtlich dessen Kolle-
gen und des ganzen Teams, das bei Aus-
fall seine Aufgaben auf unbestimmte Zeit
mit erledigen muss. Und dann sind da
noch die vereinbarten Ziele, die im Un-
ternehmenssinn erreicht werden müssen.
Die Führungskraft gerät in ein Dilemma.
Wie verdeutlicht sie dies im Gespräch,
ohne den Betroffenen weiter unter Druck
zu setzen? Das R.E.S.P.E.K.T.-Prinzip gibt
einen Hinweis auf die wichtigsten Fragen,
die sich ein Chef zur inneren Vorberei-
tung auf ein wirkungsvolles Erstgespräch
stellen sollte:
• Welche Veränderungen im Verhalten
des anderen kann ich genau feststellen?
Drei Wahrnehmungsebenen bedienen
uns hier mit möglichen Frühsignalen:
1. Das Verhalten im Berufsalltag (Un-
pünktlichkeit, sozialer Rückzug, lange
Krankheit, Passivität, häufige Konflikte).
2. Das Verhalten im Gespräch (dif-
fuse
Ausdrucksweise,
aggres-
siver Tonfall, anklagende Haltung,
Schwarz-Weiß-Denken, unangemes-
senes Nähe- oder Distanzverhalten).
3. Das persönliche Erscheinungsbild (Ge-
wichtsschwankungen, ungepflegte Klei-
dung, mangelnde Körperhygiene).
• Was habe ich am Mitarbeiter immer
sehr geschätzt, was ich derzeit weniger
erlebe? Welchen Unterschied stelle ich
fest?
• Wie stehe ich eigentlich emotional zu
dieser Person? Habe ich ihr gegenüber
eine grundsätzlich positive oder eine eher
negative Haltung? Auf welches Verhal-
ten stelle ich mich in diesem für beide
schwierigen Gespräch ein? Wie werde ich
dann reagieren?
• Was weiß ich eigentlich über die Per-
son? Wie sieht es in ihrer Privatwelt aus?
Wie stehe ich selbst zu solchen Fragestel-
lungen? Habe ich prinzipiell Verständnis
für private Umstände?
• Was genau wird passieren, wenn die
Person nichts an ihrem Verhalten / ihrer
Beeinträchtigung ändert? Welche Auswir-
kungen wird dies haben?
• Wo kann ich mir unternehmensintern
Hilfe, Rat, Sparringspartner holen (Perso-
nalabteilung, Betriebsarzt)?
• Welche Erwartungen habe ich selbst in
dieser Situation an diese Person? Was bin
ich bereit, als ihre Führungskraft mitzu-
tragen?
• Sind die Antworten auf diese meine
Fragen geeignet, um ein von Respekt ge-
prägtes Gespräch zu führen? Worauf stelle
ich mich da ein?
Die größte Befürchtung von Chefs liegt
zumeist darin, dass der Betroffene von
Beginn an abwiegelt und man dann nicht
weiß, wie man im Gespräch bleiben kann.
Hier hilft ein systematisches Vorgehen,
das auch der betroffenen Person deutlich
macht: „Ich werde wahrgenommen, das
Schweigen hat ein Ende.“ Das ist in dem
Moment keineswegs angenehm, sogar
vielfach belastend, ohne Zweifel jedoch
der erste Meilenstein in Richtung Akti-
vität, wie der zu Beginn skizzierte Fall
zeigt.
Der Trichter-Talk
Ausgehend von eindeutig nachvollzieh-
baren Beobachtungen, die eine Leugnung
gar nicht erst zulassen, wird im Gespräch
feinfühlig und Schritt für Schritt gefiltert,
was die Ursache für auffälliges Verhal-
ten sein könnte. Es geht in keinem Fall
darum, dass die Führungskraft diagnosti-
zieren soll, was dem Mitarbeiter physisch
oder psychisch fehlt. Das muss den Fach-
leuten überlassen bleiben. Zudem ist die
Führungskraft selbstverständlich nicht für
eine Lösung des Problems verantwortlich.
Die Erfahrung zeigt, dass dies ganz unbe-
wusst den größten Druck ausmacht, den
die Führungskraft verspürt: Was soll ich
raten, wenn das Problem dann tatsäch-
lich auf dem Tisch liegt? Folgende Fünf
Schritte eines Erstgesprächs sollen ziel-
gerichtet zu angemessenen Maßnahmen
führen:
1. Schritt:
Nachdem die atmosphärischen
Rahmenbedingungen zum Gespräch ge-
schaffen wurden, werden eingangs die
wahrgenommenen Veränderungen im
Verhalten des Betroffenen geschildert,
ohne Unterstellungen, Bewertungen oder
Übertreibungen. Sachlich nachvollzieh-
bar. Daraus wird die persönliche Sorge
des Gesprächsführenden abgeleitet. Wich-
tig ist, hierbei nicht in Allgemeinheiten
zu verfallen wie „das Unternehmen (oder
‚man‘) macht sich Sorgen“. Eine Ich-
Botschaft schafft die erforderliche Nähe,
der Ausdruck der persönlichen Sorge gibt
den entscheidenden Hinweis auf die Ab-
grenzung zu einem routinemäßigen Mit-
arbeitergespräch und erhöht die Chance,
R
Marion
Badenhop
ist Inhaberin des
Coaching- und
Trainingsinstituts MBConsulting in
Weinheim sowie Director Training &
Coaching bei der Team Connex AG.
Als Trainerin und Management-Coach
beschäftigt sie sich seit Langem unter
anderem mit der wirtschaftlich beson-
ders relevanten Thematik der psy-
chischen Erkrankungen im Arbeitsall-
tag. In ihrer Arbeit setzt sie Konzepte
aus der Transaktionsanalyse sowie
der Hypnosystemik ein.
MBConsulting
Alte Landstraße 23, 69469 Wein-
heim, Tel. 06201 256226
AUTORIN