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wirtschaft + weiterbildung
04_2012
R
und die Pferde die Richtung ändern und
anhalten.
Eine der wirksamsten hypnosystemischen
Übungen ist laut Schmidt eine kleine
Dissoziations-Übung. Manche Menschen
fangen unter Stress zum Beispiel an zu
jammern und stürzen sich so selbst in
Zustände der Verzweiflung. Ein Betrof-
fener könnte einen inneren Beobachter
aktivieren, der bewertet was gerade pas-
siert. „Sieh an, ein Teil von mir jammert
wieder.“ Er könnte dem Teil einen Namen
geben, mit ihm reden, ihn bewerten und
positive Absichten vermuten: „Geht es
Dir so schlecht. Willst Du mich vor Über-
forderung schützen? Brauchst Du Aner-
kennung?“ Die Übung wirke, weil sie es
einem Betroffenen ermögliche, die Be-
ziehung zu einen Phänomen zu ändern,
das er selbst nicht direkt ändern kann
(das Jammern und die damit verbun-
dene Defizitorientierung als unbewusste
Identität). An diesem Beispiel wird auch
deutlich, wie man Leiden als Kompetenz
beschreiben kann, weil es anzeigt, was
einem fehlt (Schutz vor Überlastung) –
oder aufzeigt, wo Geist und Körper nicht
mehr weitergehen wollen, weil es keinen
Sinn mehr macht. Wer diese Grenze über-
schreitet landet im Burn-out.
Der Klient als „Vorgesetzter“
Als Dr. Gunther Schmidt im Jahr 2004
seinen hypnosystemischen Ansatz in
einem umfangreichen Buch mit dem Titel
„Liebesaffären zwischen Problem und
Lösung“ (Carl Auer, Heidelberg 2004)
erläuterte, staunte die Fachwelt nicht
schlecht, dass ein Systemiker sich so in-
tensiv mit der Körperarbeit befasst. Am
meisten wurde aber die bedingungslose
Würdigung von bislang gescheiterten
Individuen zur Kenntnis genommen,
die Schmidt an den Anfang jeder Thera-
pie und jeden Coachings gestellt sehen
wollte. Ganz im Gegensatz zum „lösungs-
orientierten Ansatz“ ging es bei Schmidt
auch „rein ins Problem“, um die Betrof-
fenen besser zu verstehen und gekonnt
„abzuholen“.
Eine spannende Frage ist es deshalb, wie
sehr das Prinzip der „Würdigung“ im
Alltag der SysTelios-Klinik gelebt wird.
„Wir vertreten die Auffassung, dass je-
mand, der zu uns kommt, ein mündiger,
selbstständiger und autonomer Mensch
ist, der auf Augenhöhe behandelt wer-
den muss“, betont Schmidt. „Der Klient
ist quasi unser Vorgesetzter und wir sind
Dienstleister für ihn.“ Jeder Schritt, den
wir gemeinsam gehen, muss durch kri-
tisch-prüfende Rückmeldungen der Kli-
enten sorgfältig abgestimmt werden, so
das SysTelios-Credo.
Es hat sich laut Klienten-Befragung als
sehr hilfreich erwiesen, dass in der Kli-
nik Vorgespräche geführt werden. „Wir
respektieren, wenn jemand skeptisch
ist und weisen auch klar auf die Vor-
teile einer ambulanten Therapie hin“, so
Schmidt. Noch hilfreicher ist der Besuch
Fünf Jahre SysTelios-Klinik in Wald-Michelbach
Offiziell nennen sie ihr Konzept „tiefenpsychologisch und
verhaltenstherapeutisch fundiert in Verbindung mit kompe-
tenz- und lösungsorientierter Bewegungs-, Körper-, Kunst-
und Musiktherapie“.
Die SysTelios Klinik („sys“ für systemisch-ganzheitlich und
„Teleios“ für „vollständig zum Ziel hinführend“) ist eine
Hintergrund.
Dr. Gunther Schmidt, Mechthild Reinhard, Dr. Carsten Till und ihr Team bieten in der
„SysTelios Privatklinik für Psychotherapie und psychosomatische Gesundheitsentwicklung“ in
Wald-Michelbach (Odenwald) hypnosystemische Therapie in intensiver Form an.
Im September 2011
wurde die Erweiterung der SysTelios-
Klinik auf drei Gebäudekomplexe abgeschlossen.
private Akutklinik gemäß § 107 (1) SGB V. Nach eigenen
Aussagen wollte Schmidt nie eine Privatklinik betreiben.
Um sein Konzept umzusetzen, blieb ihm aber keine andere
Wahl, weil die gesetzlichen Krankenversicherungen schon
seit Jahren keine Verträge mehr mit neuen psychosoma-
tischen Kliniken abschließen.
Etwa 20 Prozent der Personen im stationären Aufenthalt
sind gesetzlich krankenversichert und kommen als Selbst-
zahler (derzeit 320 Euro/Tag). Einige Unternehmen (wie
zum Beispiel die SAP AG, Gewinner des Corporate Health
Award 2011) haben Rahmenverträge mit SysTelios und
übernehmen bei ihren gesetzlich versicherten Mitarbeitern
bis zwei Drittel der Kosten.
Die Klinik lässt ihre Arbeit regelmäßig von Professor Dr.
Günter Schiepek, Universität Klagenfurt, und dessen Insti-
tut „Real-time Monitoring“ evaluieren. Danach werden ihr
eine hohe therapeutische Wirksamkeit und vergleichsweise
schnelle und trotzdem nachhaltige Erfolge bescheinigt. Der
durchschnittliche Aufenthalt liegt bei vier Wochen und drei
Tage.
Foto: Pichler