Seite 21 - wirtschaft_und_weiterbildung_2011_04

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04_2011
wirtschaft + weiterbildung
21
Hintergrund: Wie Unternehmen ihre Vision finden
Die meisten Visionen von Unternehmen sind doch
viel zu abstrakt, um eine Wirkung zu entfalten ...
Kehr:
Das stimmt. Nur wenige arbeiten mit Bildern. Oft-
mals sind das endlose Fadensätze, die noch dazu völlig
austauschbar sind. Das ist nicht motivierend. Das haben
wir anhand der Visionen von sechs willkürlich ausgewähl-
ten Unternehmen untersucht. Dabei wurden 58 Personen
gebeten, die Visionen danach zu beurteilen, ob beim Lesen
der verbalen Beschreibung ein inneres Bild entsteht. Beim
Reiseveranstalter TUI mit der Vision „The World of TUI is
the most beautiful time of the year“ gelang das gut. Bei
der Deutschen Telekom nicht. Ihre Vision lautet: „Als das
führende Dienstleistungsunternehmen der Telekommuni-
kations- und Informationstechnologie-Industrie verbinden
wir die Gesellschaft für eine bessere Zukunft. Mit höchster
Qualität, effizient und innovativ zum Nutzen unserer Kun-
den. In jeder Beziehung.“
Motiviert ein Bild allein?
Kehr:
Nein, unsere Grundüberlegung ist, dass mentale
Bilder, also der Kern einer Vision, auf einer emotionalen
Ebene wirken, indem sie unbewusste Motive anregen.
Wirksame Visionen müssen daher mit den unbewussten
Motiven eines Menschen verbunden sein. Sie stellen so
etwas wie eine Art überdauernde, individuelle, emotionale
Vorliebe dar und beeinflussen das Verhalten.
Wie finde ich so eine Vision?
Kehr:
Wichtig ist, dass die Vision aus einem selbst heraus
kommt und die persönliche Geschichte, die eigenen Stär-
Interview.
Professor Dr. Hugo M. Kehr, Leiter des Lehrstuhls für Psychologie an der
Technischen Universität München, hat die angeblich motivierende Wirkung von Visionen, wie
sie von der „Positiver-Denken“-Bewegung unterstellt wird, kritisch untersucht.
ken und natürlich auch die Schwächen berücksichtigt.
Wenn ein Motivationstrainer seinen Seminarteilnehmern
erzählt, sie sollen Fotos von der Yacht aus der Illustrier-
ten ausschneiden und das als ihre Vision nehmen, dann
hat das oft nur wenig mit der jeweiligen Person zu tun.
Und selbst, wenn der Wunsch erfüllt werden sollte, fühlt
sich das Ganze meist hohl an. Das Problem ist, dass die
meisten Menschen ihre unbewussten Motive gar nicht ken-
nen. Sie schätzen ihre unbewussten Bedürfnisse falsch
ein und setzen sich deshalb auch Ziele, die nicht zu ihren
unbewussten Motiven passen.
Wie finde ich heraus, ob meine Vision zu meinen
unbewussten Motiven passt?
Kehr:
Mit einer Vision entstehen immer auch Gefühle. Die
muss ich mir anschauen. Wenn die positiv sind, besteht
eine relativ große Wahrscheinlichkeit, dass die Vision zu
meinen unbewussten Motiven passt und ich die daraus
abgeleiteten Ziele auch erreiche. Passt ein Ziel dagegen
nicht zu meinen Motiven, dann kostet die Verfolgung viel
Kraft und Zeit, führt zu Unzufriedenheit und verringert das
Wohlbefinden. Selbst wenn das Ziel erreicht ist, kommt oft
kein Gefühl der tiefen Zufriedenheit oder wirklichen Freude
auf, stattdessen herrschen Leere und Gleichgültigkeit vor.
Die Frage ist also, wie es gelingen kann, Ziele zu formulie-
ren, die besser zu unbewussten Motiven passen.
Aber wie kann eine motivierende Vision entwickelt
werden, die die unbewussten Motive anspricht?
Kehr:
Zunächst einmal muss man weg von den abstrakten
und rationalen Formulierungen und ein inneres Bild anspre-
chen. Die Qualität einer Vision hängt entscheidend von
ihrer Visualisierbarkeit ab. Nur dann fühlt man sich ange-
spornt und begeistert und glaubt auch, dass man sich die
Vision merken und auch andere davon begeistern kann.
Dabei müssen dann natürlich auch Gefühle angesprochen
werden, mit denen sich möglichst viele Mitarbeiter identi-
fizieren können. Das kann zum Beispiel der Wunsch nach
innovativen Produktideen, nach einer gut laufenden Team-
dynamik oder nach persönlichem Erfolg sein. Wir haben
daher Workshops konzipiert, in denen Mitarbeiter und Füh-
rungskräfte eines Unternehmens eine motivierende Vision
entwickeln. Solche Workshops haben wir bereits erfolg-
reich für die Allianz und ERGO durchgeführt.
Interview: Bärbel Schwertfeger
Professor Dr.
Hugo M. Kehr
über
„richtige“ Visionen