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TITEL
_DEMOKRATIE
personalmagazin 01 / 15
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D
ie Forderungen nach mehr
Demokratie in den Betrieben
gibt es schon seit Beginn der
Industrialisierung. Mitte des
19. Jahrhunderts haben sich die Arbeiter
organisiert und höheren Lohn, Verbot
der Kinderarbeit oder Krankenversor-
gung eingefordert, sie haben sich aber
auch in Fragen der Führung und Arbeits-
organisation eingemischt. Beim Blick auf
das 19. Jahrhundert wird gelegentlich
übersehen, dass es von Anfang an auch
Unternehmer gab, die in der Beteiligung
der Arbeiter nicht nur ein Gebot der
Fairness, sondern eine Chance für eine
bessere Unternehmensführung sahen.
Den ersten Arbeiterausschuss, Vorläufer
der heutigen Betriebsräte, richtete 1850
der Fabrikant Carl Degenkolb ein, der
darin ein Modell für die gesamte Wirt-
schaft sah. Seine bei der Frankfurter Na-
tionalversammlung eingereichte Vorlage
wurde dort allerdings nicht behandelt,
war aber wegweisend für die Erfolgsge-
schichte der Mitbestimmungsidee.
Der Klassenkonflikt wurde allerdings
erst nach dem Zweiten Weltkrieg über-
wunden. Die von den Pionieren entwi-
ckelte Idee der Mitbestimmung wurde in
dem 1952 verabschiedeten Betriebsver-
fassungsgesetz verankert, das eine „ver-
trauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen
Unternehmensleitung und Betriebsrat
vorsah. Wahlen gehörten fortan zum All-
tag in vielen Betrieben, allerdings nur auf
Arbeitnehmerseite. Die 68er stellten den
erzielten Kompromiss zwischen Kapita-
lismus und Demokratie erneut infrage,
was die Regierung von Willy Brandt
(„mehr Demokratie wagen“) mit dem
weiteren Ausbau der Mitbestimmung be-
antwortete. In den 80er- und 90er-Jahren
sahen viele Unternehmer die Mitbestim-
mung eher kritisch, das änderte sich erst
in der Finanz- und Wirtschaftskrise, wo
diese zu einem der entscheidenden Fak-
toren zur Krisenbewältigung wurde.
AGP und Mitarbeiterbeteiligung
Es war wiederumein Textilunternehmer,
der eine neue soziale Idee entwickelte
und 1950 die AGP – Arbeitsgemein-
schaft Partnerschaft in der Wirtschaft
– gründete. „Betriebliche Partnerschaft“
hieß für Gert Spindler, Mitarbeiter am
Betriebsvermögen zu beteiligen. Wenn
alle im Betrieb dasselbe Interesse ver-
folgen, stellt sich der Erfolg ein – so die
Überzeugung der AGP, in der heute etwa
300 Unternehmen versammelt sind.
Mit der Synchronisierung vonBetriebs-
und Mitarbeiterinteresse beschäftigte
sich am ausführlichsten Rolf Wunderer
von der Universität St. Gallen in seinem
Konzept zum Mitunternehmertum, das
Kern seiner Führungslehre wurde.
Demokratie in der Alternativökonomie
Den 68ern war das „Tarifkartell“, wie
sie abschätzig die Zusammenarbeit zwi-
schen Gewerkschaften und Arbeitge-
bern nannten, suspekt. Demokratie hieß
Geschichte der sozialen Ideen
RÜCKBLICK.
Schon vor über 160 Jahren gab es Visionäre unter den Unternehmern,
die mehr Demokratie in ihrem Betrieb wagten. Ein kurzer Blick in die Geschichte.
Von
Reiner Straub
(Red.)
Mit dem ersten Arbeiterausschuss
begann 1850 die Mitbestimmung.