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RECHT
_RENTENVERSICHERUNGSPFLICHT
personalmagazin 02 / 15
I
m Recht der gesetzlichen Renten-
versicherung in Deutschland gibt
es eine Besonderheit: Verschiede-
ne Berufsgruppen können sich von
der allgemein zwingenden gesetzlichen
Rentenversicherungspflicht befreien
lassen. Eine große Gruppe, der dieses
Privileg durch Gesetz zugestanden wird,
sind die sogenannten Freiberufler, also
beispielsweise Ärzte, Apotheker, Rechts-
anwälte oder Steuerberater. Anstelle der
gesetzlichen Rentenversicherung kann
die Altersversorgung dieser Berufsgrup-
pen über berufsständische Versorgungs-
werke sichergestellt werden. Erfolgt
eine Befreiung von der gesetzlichen
Rentenversicherungspflicht, müssen
ausschließlich Beiträge an das jeweilige
Versorgungswerk entrichtet werden.
Seit Ende 2012 ist das Befreiungsrecht
jedoch grundlegenden Veränderungen
unterlegen. Ursächlich hierfür sind Ur-
teile des Bundessozialgerichts (BSG), die
eine jahrzehntelange Praxis der Renten-
versicherung Makulatur werden ließen.
Bis zu den Entscheidungen war es näm-
lich üblich, dass sich Freiberufler ein-
malig zu Beginn des Berufslebens von
der gesetzlichen Rentenversicherungs-
pflicht befreien ließen. Erfolgten im wei-
teren Erwerbsleben Arbeitgeber- oder
Tätigkeitswechsel, wurde in der Regel
keine neue Befreiung beantragt, sondern
der vorhandene Befreiungsbescheid im-
mer wieder vorgelegt. Die Freiberufler
führten auf Basis ihres (Erst-)Bescheids
weiterhin ausschließlich Beiträge an
das Versorgungswerk ab. Die Deutsche
Von
Jochen Leßmann
und
Christoph Herrmann
Rentenversicherung Bund (DRV) als ver-
antwortliche Stelle für die Erteilung der
Befreiung und deren Kontrolle billigte
diese Praxis. Offensichtlich ging die DRV
selbst davon aus, dass einmal erteilte Be-
freiungen „personenbezogen“, jedenfalls
aber „berufsgruppenbezogen“ wirkten.
BSG: Auf Beschäftigung beschränkt
Diese Praxis hat das BSG mit Urteilen
vom 31. Oktober 2012 (Az. B 12 R 3/11 R,
B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R) für nicht
gesetzeskonform erklärt. Das Gericht
stellte fest, dass eine Befreiung von der
gesetzlichen Rentenversicherungspflicht
auf die jeweilige Beschäftigung, für die
sie erteilt wurde, beschränkt ist. Somit
führen Wechsel des Arbeitgebers oder
wesentliche Änderungen der Tätigkeit bei
demselben Arbeitgeber zu dem Erforder-
nis einer erneuten Befreiung; der bisheri-
ge Befreiungsbescheid endet automatisch.
Problematisch an dieser Feststellung ist,
dass eine Vielzahl von Freiberuflern im
Vertrauen auf die jahrzehntelange Praxis
bei Arbeitgeber- oder wesentlichen Tätig-
keitswechseln in der Vergangenheit keine
neue Befreiung beantragt hatte und daher
heute formell nicht (mehr) ordnungsge-
mäß von der gesetzlichen Rentenversiche-
rungspflicht befreit ist.
DRV: Vorgaben zum Vertrauensschutz
Angesichts der bis dato gegenläufigen
Praxis hat die DRV deshalb zunächst
im Mai 2013 eine Verlautbarung zum
Vertrauensschutz für Freiberufler ver-
öffentlicht. Die Verlautbarung wurde
im Januar 2014 inhaltlich noch einmal
wesentlich geändert und erweitert.
Zentrale Aussage dieser Verlautbarung
ist, dass sich Freiberufler ohne Befrei-
ung für ihre aktuelle Beschäftigung auf
Antrag erneut befreien lassen können,
wenn aktuell eine befreiungsfähige Tä-
tigkeit ausgeübt wird und diese Tätigkeit
vor dem 31. Oktober 2012 aufgenommen
wurde. Wechselte ein Arzt etwa im Jahr
2006 von einem Krankenhaus zu einem
anderen Krankenhaus (ohne eine neue
Befreiung zu beantragen) und übt er
dort weiterhin ärztliche Tätigkeiten aus,
wird er auf Antrag von der DRV für die
aktuelle Tätigkeit mit Wirkung für die
Zukunft befreit. Für die Vergangenheit
genießt er Vertrauensschutz; eine Rück-
abwicklung unterbleibt.
Einer Vielzahl von Freiberuflern und
deren Arbeitgebern wurde somit die
Möglichkeit eröffnet, die formell feh-
lende Befreiung ohne Konsequenzen
zu heilen. Kommt die DRV dagegen bei
der Prüfung des Antrags zu dem Ergeb-
nis, dass die Voraussetzungen für eine
Befreiung heute nicht vorliegen, müs-
sen Arbeitgeber ab sofort Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung ab-
führen. Für die Vergangenheit sind ent-
sprechend des jeweiligen Sachverhalts
und der Verjährungsregelungen (§ 25
SGB IV) Beiträge nachzuentrichten.
BSG: Syndikus-Anwälte als Sonderfall
Für Rechtsanwälte, die bei Unternehmen
oder Verbänden tätig sind (sogenannte
Syndikusanwälte), wurde die Rechtslage
mit Urteilen des BSG vom 3. April 2014
(Az. B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und
B 5 RE 13/14 R) noch einmal wesentlich
verschärft. Das BSG entschied, dass für
Zurück zur gesetzlichen Rente
ÜBERBLICK.
Das Bundessozialgericht hat die Praxis zur Rentenbefreiung ange­stellter
Ärzte oder Anwälte gerügt. Nun will die Rentenversicherung für Klarheit sorgen.