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TITEL
_TARIFVERTRÄGE
personalmagazin 02 / 15
recht der verdrängten Gewerkschaft
einzuschränken.
personalmagazin:
Was ist mit den Anhö-
rungs- und Nachzeichnungsrechten, die
der Entwurf kleineren Gewerkschaften
zugesteht?
Henssler:
Diese Kompensation ist ver­
fassungsrechtlich unzureichend. Die
beiden Instrumente reichen nicht aus,
um der verdrängten Gewerkschaft eine
effektive Tarifpolitik und wirksame
Vertretung der Interessen ihrer Mitglie­
der zu ermöglichen. So muss zwar der
Arbeitgeber, der Tarifverhandlungen
mit einer Gewerkschaft aufnimmt, alle
anderen im Betrieb vertretenen Ge­
werkschaften informieren und ihnen
Gelegenheit geben, ihre Vorstellungen
vorzutragen. Ein Anspruch der anderen
Gewerkschaften auf Beteiligung an den
Verhandlungen besteht jedoch nicht.
Existiert bereits ein Tarifvertrag mit der
repräsentativen Gewerkschaft, ist eine
kleinere Gewerkschaft sogar vollstän­
dig zur Untätigkeit verdammt. Ihr steht
nicht einmal ein Recht auf Nachzeich­
nung, also auf Übernahme der Regelung
des bestehenden Tarifvertrags, zu.
personalmagazin:
Ist also gar keine gesetzli-
che Regelung möglich oder nötig?
Henssler:
Doch, der Entwurf enthält ja
auch einige zutreffende Ansätze, ist
aber insgesamt in der aktuellen Fas­
sung nicht gelungen. Richtig ist zu­
nächst, dass es einer gesetzlichen Rege­
lung bedarf. Die aktuellen Streiks haben
gezeigt, dass zumindest im Bereich der
Daseinsvorsorge die geltende Rechtsla­
„Firmen droht Flickenteppich“
INTERVIEW.
Ein Gesetz zur Tarifeinheit ist auf den Weg gebracht. Die Tücken des
­ersten Entwurfs sowie die Folgen für Unternehmen erklärt Professor Martin Henssler.
personalmagazin:
Die Regierung hat zuletzt
einen Referentenentwurf zur Tarifeinheit
beschlossen, über den demnächst das
Parlament abstimmen soll. Gleichzeitig
haben kleine Gewerkschaften bereits
Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
angekündigt. Würden die Karlsruher
Richter ein Gesetz in der momentanen
Form akzeptieren?
Martin Henssler:
Das glaube ich nicht, denn
das Vorhaben ist aus meiner Sicht offen­
sichtlich verfassungswidrig. Schließlich
ist die verfassungsrechtliche Regelung
in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz auf
Gewerkschaftspluralität und damit
grundsätzlich auch auf Tarifpluralität
angelegt. Da ist es auch keine Lösung,
dass das Gesetz vordergründig keine
Regelung zum Streikrecht enthält. Das
ist eine Nebelkerze und verdeckt das ei­
gentliche Problem.
personalmagazin:
Inwiefern meinen Sie,
dass uns die Regierung mit dem Entwurf
quasi hinters Licht führen will?
Henssler:
Der Gesetzesentwurf soll die Ta­
rifeinheit wieder einführen. Abgesehen
davon, dass beispielsweise das Problem
bei der Lufthansa gar nicht angegangen
wird: Als Mittel zur Auflösung der Tarif­
pluralität sieht der Entwurf anstelle des
Spezialitätsprinzips das Mehrheitsprin­
zip vor. Es setzt sich also ein Tarifvertrag
der Gewerkschaft durch, die im jeweili­
gen Betrieb über die meisten Mitglieder
in der Belegschaft verfügt. Eine zwangs­
läufige Folge der neuen Regelung in §
4a TVG, also dem Tarifvertragsgesetz,
ist jedoch, dass ohnehin verdrängte
Tarifverträge selbstverständlich nicht
per Streik eingefordert werden können.
Denn die mit einem Streik verbundenen
Schädigungen des Arbeitgebers wären
in jedem Fall unverhältnismäßig. Der
entsprechende Eingriff in die Koaliti­
onsfreiheit ist damit bereits im Gesetz
angelegt. Daher hilft die Vorstellung
der Regierung nicht, das Problem des
Streikrechts nicht explizit im Entwurf
zu erwähnen, sondern die zwangsläu­
fige Einschränkung des Streikrechts in
die Verantwortung des BAG zu verschie­
ben. Zumal auch die Begründung des
Referentenentwurfs von der Unzuläs­
sigkeit der Streiks ausgeht. Vor diesem
Hintergrund unternimmt das Gesetz zu
wenig, um diesen Eingriff in das Streik­
PROF. DR. MARTIN HENSSLER
ist
Geschäftsführender Direktor des Instituts
für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der
Universität zu Köln.