Seite 11 - personalmagazin_2015_03

Basic HTML-Version

11
03 / 15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Alb, geboren und wuchs in behüteten
Verhältnissen in der Nachkriegszeit auf.
Er hatte eine besonders enge Beziehung
zu seiner Mutter. Der Vater, der die Wo-
che über weg war und auch am Wochen-
ende noch Akten büffelte, spielte in der
Familie keine tragende Rolle. Zwar be-
wundert der kleine Thomas den Erfolg
seines Vaters, der es vom kleinen Dorfbe-
amten zum Ministerialrat im Stuttgarter
Landtag brachte, doch die menschliche
Nähe fehlt.
Als Straßenkämpfer zu Daimler
Seine Kindheit verlief unaufgeregt, zum
Rebell wurde er erst, als er sich 1967 als
Gymnasiast in Stuttgart, wo die Familie
mittlerweile lebte, der Schülerbewegung
anschloss. Sattelberger tut das nicht als
„Jugendsünde“ ab, sondern stellt sich
seiner Vergangenheit und setzt sich da-
mit intensiv auseinander. Kritik am Ka-
pitalismus, Demokratisierung der Ge-
sellschaft und sexuelle Befreiung waren
die Themen, „die mich über Jahre hin-
weg mitrissen“. Er beschreibt, wie er
als Agitator wirkte, die Schülerzeitung
„Rotkehlchen“ herausgab, Flugblätter
verteilte und von Joschka Fischer, der
nach Frankfurt weiterzog, die Leitung
der „Unabhängigen sozialistischen
Schülergemeinschaft“ übernahm.
Wie kam es aber dazu, dass der Kapita-
lismus-Kritiker die Fronten wechselte und
eine Ausbildung bei Daimler begann? Im
Unterschied zu Fischer, der sich im Um-
feld der undogmatischen Linken bewegte
und der Politik treu blieb, geriet Sattelber-
ger im Stuttgarter Raum unter besonders
schlimme Sektierer innerhalb der Apo:
Beim Kommunistischen Arbeiterbund
(KAB) ging es nicht mehr um Diskutieren
oder Kameradschaft, sondern um Dogma-
tismus und Einordnung. Der Rebell litt da-
runter („Das war die Hölle“) und begann
sich zu distanzieren, wofür er - im Rück-
blick - dem KAB dankbar ist. Der Marsch
durch die Institutionen, den viele 68er in
die Betriebe führten, sei für ihn schon da-
mals kein Motiv gewesen, da er sich sein
Leben nicht als Arbeiter vorstellen wollte.
Laut Sattelberger war es die Frage des
Broterwerbs, die ihn zu Daimler führte.
Bei Daimler, einem zentralen Feind-
bild der Apo, wurde er mit offenen Ar-
men empfangen. Ob er die Kleider der
Kapitalismuskritik tatsächlich so schnell
ablegen konnte, sei mal dahin gestellt.
Als entscheidende Erfahrung beschreibt
er aber, dass die Verhältnisse im Betrieb
nicht so schlimm waren, wie er sich das
als Apo-Aktivist vorgestellt hatte. Schon
seine erste Stelle im Bildungswesen be-
schreibt er als „Traumstelle“. Die Grund-
lage für seine Karriere war gelegt.
Was waren die Erfolgsfaktoren seiner
grandiosen Karriere? Sattelberger stellt
sich gerne als Innovator dar und gibt
sich die Attitüde des Unangepasssten.
Das Buch ist voll davon. Doch erfolgsent-
scheidend für seine Dax-Karriere war ei-
ne andere Seite von ihm: Er konnte sich
schnell auf neue Verhältnisse einstellen,
man kann das auch „anpassen“ nennen.
Sein Wertesystem war flexibel. Ein gutes
Beispiel dafür ist sein Wechsel auf den
Vorstandssessel bei der Continental AG,
damals die Burg der Shareholder-Value-
Denke. Zuvor hatte er dieses Manage-
mentmodell abgelehnt, der Wechsel aber
war für seine Karriere nützlich: Er konn-
te sich einen Ruf als harter Personaler
aufbauen, ohne den er nicht Personalvor-
stand der Telekom geworden wäre.
Machtorientierte Karriereplanung
War Sattelberger auch einer der Karrie-
risten, die alles dem beruflichen Erfolg
unterordnen? Sattelberger kommt dieser
Gedanke selbst und er schiebt ihn bei-
seite, um ein anderes Erklärungsmuster
anzubieten: Sein Faible für Transforma-
tionen. Motiv für seine Wechsel seien
Umbruchsituationen gewesen, die hät-
ten ihn gereizt. Doch überzeugt diese
Erklärung? Wie wichtig die Karriere für
ihn war, zeigt der Blick auf zwei Lebens-
entscheidungen: Über seine Apo-Vergan-
genheit redete er erst, als die Stuttgarter
Nachrichten das aufdeckten - sein Auf-
stieg war schon vollzogen. Seine Homo-
sexualität machte er erst öffentlich, als er
kein Vorstandsamt mehr innehatte.
In der Biografie gibt er Einblick in die
Machtspiele der Manager, schildert seine
Kontakte zu Vorständen und Aufsichtsrä-
ten. Eines aber findet keinen Platz, das
in seinem Leben einen großen Raum
einnahm: sein Engagement für die Per-
sonalszene. Er hat eng mit Hochschulleh-
rern zusammengearbeitet, viele Vorträge
gehalten, ein eigenes Netzwerk aufgebaut
und die Debatten in der Personalszene
vorangetrieben. Er war mit Leidenschaft
und Herzblut dabei, und viele Personaler
haben sich an ihm orientiert. Das alles hat
Sattelberger ausgeblendet. Das wird viele
seiner Mitstreiter, beispielsweise aus der
Selbst GmbH, bitter enttäuschen. Über
den Grund kann man nur spekulieren: Ist
seine Herkunft als Personaler für seine
weitere Karriereplanung nicht mehr von
Nutzen, weil er in die Politik oder Talk-
shows will? Oder hätte er sich selbstkri-
tisch eingestehen müssen, dass er seine
verbandspolitischen Ziele mit der Selbst
GmbH nicht erreichen konnte?
Selbstkritik oder auch die Einordnung
des Handels in die jeweilige Zeit gehört
nicht zu den Stärken des Biografen. Die
Frauenquote war sicherlich seine „histo-
rische“ Heldentat. Dass er aber selbst
zuvor jahrzehntelang die Führungskräf-
teentwicklung verantwortet hat und das
Thema nicht vorangebracht hatte, darüber
hat er nicht wirklich nachgedacht.
Die Klippen, die um das Genre Biografie
liegen, konnte Thomas Sattelberger jeden-
falls nicht souverän umschiffen.
BUCHTIPP
Thomas Sattelberger:
Ich halte nicht die
Klappe. Mein Leben
als Überzeugungstä-
ter in der Chefetage.
288 Seiten, Murmann
Pub­lishers, Hamburg,
2015. 22 Euro.