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RECHT
_TARIFRECHT
personalmagazin 09 / 14
A
m 3. Juli 2014 hat der Bundes-
tag mit großer Mehrheit das
„Tarifautonomiestärkungs-
gesetz“ beschlossen. Ziel
des Gesetzes sind die Stärkung der
Tarifautonomie und die Sicherstellung
angemessener Arbeitsbedingungen für
Arbeitnehmer über einen gesetzlichen
flächendeckenden Mindestlohn.
In der öffentlichen Debatte über die
Einführung des Mindestlohns nahezu
untergegangen sind die geplanten Ver-
einfachungen für Allgemeinverbind-
licherklärungen von Tarifverträgen. So
war die Allgemeinverbindlicherklärung
eines Tarifvertrags bislang nur möglich,
wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber
mindestens 50 Prozent der unter den
Geltungsbereich des Tarifvertrages fal-
lenden Arbeitnehmer beschäftigten.
Dieses starre Quorum wurde vom Ge-
setzgeber mit dem Tarifautonomiestär-
kungsgesetz gestrichen. Stattdessen ist
künftig ausreichend, dass die Allgemein-
verbindlicherklärung im öffentlichen
Interesse geboten erscheint. Insoweit ist
davon auszugehen, dass die Anzahl der
allgemeinverbindlichen Tarifverträge
weiter zunehmen wird.
Vor diesem Hintergrund wird die seit
Jahren in der betrieblichen Praxis und
der juristischen Fachliteratur sowie der
Rechtsprechung geführte Diskussion
um den sogenannten Phantomlohn noch
einmal zunehmen. Während einige Au-
toren von einer Phantomlohnfalle oder
gar vom Phantomlohn als Zeitbombe
sprechen, wird von anderen der Begriff
Von
Bernd Esser
und
Thomas Niklas
„Phantomlohn“ als eine in Anbetracht
der Assoziation mit dem Begriff „Phan-
tomschmerz“ gedankenlos gebrauchte
Wortneuschöpfung gegeißelt. Unabhän-
gig von der Einordnung des Begriffs: Die
wirtschaftliche Folge für Unternehmen
kann jedenfalls weitreichend sein.
Entstehungs- versus Zuflussprinzip
Spätestens seit dem Inkrafttreten des
SGB IV gilt im Beitragsrecht der So-
zialversicherung das sogenannte Ent-
stehungsprinzip, welches in § 22 SGB
IV seinen gesetzlichen Niederschlag
gefunden hat. Nach dieser Vorschrift
entstehen Beitragsansprüche der Sozi-
alversicherungsträger, sobald ihre im
Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes
bestimmten Voraussetzungen vorliegen,
wenn also eine versicherungs- und bei-
tragspflichtige Beschäftigung gegen Ent-
gelt ausgeübt wird. Für das Entstehen
des Beitragsanspruches ist es hingegen
nicht erforderlich, ob das geschuldete
Arbeitsentgelt auch tatsächlich gezahlt
wurde, es also dem Arbeitnehmer zu-
geflossen ist. Insoweit unterscheidet
sich daher das Sozialversicherungsrecht
grundlegend vom Steuerrecht, bei dem
das sogenannte Zuflussprinzip gilt.
Nach diesem Zuflussprinzip sind le-
diglich diejenigen Einkünfte für die
Versteuerung heranzuziehen, die dem
Steuerpflichtigen im jeweiligen Kalen-
derjahr zugeflossen sind, die er mithin
tatsächlich erhalten hat. Im Beitrags-
recht kommt das Zuflussprinzip nur für
einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zum
Tragen. Kommt dies nicht zur Auszah-
lung, fallen auch keine Beiträge zur So-
zialversicherung an, wobei unerheblich
ist, weshalb das Arbeitsentgelt nicht
ausgezahlt wurde beziehungsweise ob
die unterbliebene Auszahlung nach den
einschlägigen gesetzlichen oder arbeits-
vertraglichen Regelungen zulässig war.
In der Praxis führt die grundsätzliche
Geltung des Entstehungsprinzips dazu,
dass vielfach eine weitaus höhere Ver-
gütung sozialversicherungsrechtlich
verbeitragt wird, als tatsächlich an die
Arbeitnehmer gezahlt wurde. Praktisch
bedeutsam wird dies etwa in Fällen, in
denen Arbeitgeber aufgrund von wirk-
sam vereinbarten Ausschlussklauseln
nicht (mehr) verpflichtet sind, etwaige
Leistungen zu erbringen. Unterbleibt
eine im Rahmen einer Ausschlussklau-
sel vereinbarte Geltendmachung seitens
des Arbeitnehmers, erlischt der Entgel-
tanspruch mit der Folge, dass der Ar-
beitnehmer diesen gegenüber seinem
Arbeitgeber nicht mehr Erfolg verspre-
chend geltend machen kann. Dieses Er-
löschen hat allerdings keinen Einfluss
auf die bereits entstandene Beitragsfor-
Vorsicht Falle
ANALYSE.
Künftig dürfte die Regierung vermehrt Tarifverträge allgemeinverbindlich
erklären. Das bindet Betriebe an tarifliche Regeln, von denen sie schwer loskommen.
Die seit Jahren in der
betrieblichen Praxis
und in der juristischen
Fachliteratur geführ-
te Diskussion um den
Phantomlohn wird noch
einmal zunehmen.