Seite 18 - personalmagazin_2014_09

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TITEL
_AUSBILDUNG
personalmagazin 09 / 14
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
D
as haben Sie sicherlich auch
in den großen Tageszeitungen
und Onlineportalen gelesen:
„Die Noten-Lüge“, „Noten in
Nöten“, „Zeugnis? Egal“, „Noten sind un-
gerecht und subjektiv“ – so oder ähnlich
lauteten in jüngerer Zeit die Überschrif-
ten in den Medien. Inhalt der Artikel
war meist die sinkende Bedeutung
von Noten zur Auswahl von Stellenbe-
werbern – vor allem Auszubildenden –
aufgrund ihrer schlechten Qualität zur
Vorhersage beruflichen Erfolgs.
Was steckt hinter dieser Wahrneh-
mung in der Publikumspresse? Sind
Noten zur Personalauswahl tatsächlich
auf dem Rückmarsch? Wie geeignet sind
sie überhaupt zur Auswahl von Mitarbei-
tern? Was sind mögliche Alternativen?
Dieser Artikel hilft HR-Entscheidern bei
der Klärung dieser für die betriebliche
Recruiting-Praxis bedeutsamen Fragen
und nutzt dazu Ergebnisse aktueller na-
tionaler und länderübergreifender Ver-
gleichsstudien sowie wissenschaftliche
Befunde zur Qualität von Noten.
Falsche Überzeugung in der Praxis
Derzeit nutzen laut dem Standardwerk
„Psychologische Personalauswahl“ von
Professor Heinz Schuler fast alle deut-
schen Unternehmen Bewerbungsun-
terlagen zur Personalauswahl und be-
trachten hier auch in erster Linie Noten
als den Bestandteil mit der höchsten
Vorhersagekraft. Die scheinbaren Vor-
teile liegen dabei auf der Hand: Noten
Von
Dominik Schwarzinger
,
Andreas Frintrup
und
Maik Spengler
sind im Rahmen der Bewerbung ein-
fach und kostengünstig zu erheben und
verschaffen als vermeintlich objektives
Merkmal Sicherheit. Zudem besitzen
sie für schulnahe Kriterien, wie den
Ausbildungserfolg, nachweislich gute
Prognosekraft.
Noten werden der in sie gelegten Er-
wartung, einen objektiven und vergleich-
baren Standard zu liefern, aber nicht
gerecht. Sie verfehlen Qualitätskriterien
guter Diagnostik, sind sozial, ethnisch
und genderbezogen unfair und, das ist
in diesem Zusammenhang das Entschei-
dende: für die Vorhersage beruflicher
Leistung nur in geringem Ausmaß geeig-
net. Dennoch verzichten derzeit in erster
Linie größere und in der Personalarbeit
fortschrittliche Unternehmen wie die
BASF oder der Laser-Weltmarktführer
Trumpf gänzlich auf Noten zur Auswahl
ihrer Auszubildenden (siehe Kasten auf
Seite 20 und 23). Warum das so ist, kann
vielleicht am ehesten mit nach wie vor
falschen Überzeugungen von der Quali-
tät der Zensuren erklärt werden.
Diagnostische Standards nicht erreicht
Noten sind kein objektives Abbild einer
gezeigten Leistung, sondern je nach zu
bewertender Aufgabe mehr oder weni-
ger subjektiv gefärbte Einschätzungen
der Lehrer (zum Beispiel unterschied-
liche Ermessensspielräume zwischen
der Bewertung einer Mathearbeit und
einem Aufsatz, ganz zu schweigen vom
Extremfall der mündlichen Noten).
Jede Person hat individuelle Erwar-
tungen und Maßstäbe, was zum Beispiel
dazu führt, dass identische Leistungen
von Schülern je nach Lehrer unter-
schiedlich beurteilt werden. Das ist ein
schon lange bekanntes und fortwährend
gültiges Phänomen. Zudem unterliegen
die Urteile der Lehrer – seien sie noch
so gut ausgebildet und motiviert, fair zu
beurteilen – typisch menschlichen Be-
urteilungsfehlern wie zum Beispiel dem
Halo-, Kontext- oder Reihenfolge-Effekt
sowie Projektions- und Attributionsfeh-
lern, die speziell für den Schulkontext
in der Dissertation „Diagnostische Kom-
petenz von Grundschullehrkräften“ von
Christian Lorenz aus dem Jahr 2011 an-
schaulich beschrieben werden.
Noten sind somit bereits individuell
betrachtet fehlerbehaftet, im Recruiting-
Alltag allerdings noch problematischer,
da nicht alle Schüler von einer Schule
oder gar einem Lehrer kommen. Perso-
nalverantwortliche sehen sich mit Zeug-
nissen verschiedenster Schulformen
und pädagogischer Konzepte konfron-
tiert, die einen objektiven Vergleich
Die Not mit den Noten
ANALYSE.
Noten sind als Auswahlkriterium für Auszubildende schon länger stark
umstritten – und das aus gutem Grund, wie die wissenschaftliche Forschung belegt.
Noten scheinen objek-
tive Urteile abzubilden,
sind aber bei näherem
Hinsehen subjektiv ge-
prägte Bewertungen. Sie
führen nicht zu einer
validen Azubi-Auswahl.